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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Herbold
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hatte sie leider keinen gut aussehenden Schwulen im Freundeskreis, der sich mit ihr auf ein soziologisch interessantes Fortpflanzungsexperiment eingelassen hätte. Befreundete heterosexuelle Männer zu ungeschütztem Sex zu überreden, stellte sich ebenfalls als ziemlich schwierig heraus. Gerade bei sich überraschend anpirschenden Müttern hatten Männer jeden Alters offenbar eine intuitive Heidenangst, die Werbende könnte so verrückt sein, auch von ihnen gleich wieder schwanger werden zu wollen. Jedenfalls wollten die zwei, die die Mutter mit viel Mühe überhaupt überreden konnte, nach einem gemütlichen Videoabend ausnahmsweise mal über Nacht zu bleiben, lieber auf der Couch schlafen.
    Nach diesen so umständlichen wie unergiebigen Anläufen befand die Single-Mama, dass sie die Sache grundsätzlich anders angehen musste. Einen leichtsinnigen Beischläfer galt es zu finden. Einen, dessen Verstand sich beim Anblick der großartigen Frau, die sie ja zweifellos war, sofort nachhaltig vernebeln würde. Oder dessen Verstand beim Anblick der großartigen Frau bereits aus anderen Gründen nachhaltig vernebelt war. Im Klartext: einen, der betrunken genug war, die Sache mit der Verhütung aus Versehen zu vergessen. Sie mochte gar nicht daran denken, was das wieder für ein organisatorischer Aufwand war. An den entscheidenden fruchtbaren Tagen, die natürlich am allerbesten auf ein Wochenende oder auf die Karnevalskernzeit fallen sollten, das Kind zu den Großeltern auslagern, und dann in eine mindestens 40 Kilometer vom eigenen Wohnort entfernte und für ihr Nachtleben bekannte Großstadt fahren. Diese Vorsichtsmaßnahme wäre dringend nötig, weil man dem ahnungslosen Samenspender ja in den nächsten 20 Jahren nicht unbedingt zufällig vor den Saftregalen beim Getränkehändler in die Arme laufen will: »Ach, hallo, äh … Iris?«
    »Ines.«
    »Genau, Ines. Ist lange her, wa. Wie geht’s?
    »Gut. Gut. Und dir.«
    »Danke, kann nicht klagen. Dein Kind?«
    »Ja. Meins.«
    »Na du Kleener, tutsi, tutsi. Wie du sieht’s ja nicht aus. Kommt wohl eher nach dem Vater.«
    »Mhm. Du, ich muss los. Man sieht sich.«
    In besagter weit entfernter Großstadt müsste sie sich mit kniehohen roten Lackstiefeln und einer Perücke im gleichen Farbton verkleidet aufreizend an den Tresen einer üblen Baggerbude setzen, die geschminkten Lippen an einem süßen Sekt nippend, und auf Kundschaft, pardon: neue Bekanntschaft warten. Der sie sich dann mit den Worten »Hallo, ich bin die Peggy. Haste nicht Lust, mir ein bisschen Gesellschaft zu leisten?« vorstellen würde. Im Verlauf des Abends müsste sie unauffällig auf Erbkrankheiten in der Familie zu sprechen kommen, auf besondere Häufungen von Epilepsie oder Down-Syndrom oder auch nur den Hang zu Glatzenbildung, Adipositas und Segelohren – ohne dass die Gesamtsituation ihre verführerische Grundstimmung einbüßt, natürlich.
    Seien wir ehrlich: Selbst einer einigermaßen praktisch veranlagten Frau, die Romantik lediglich für eine verkaufsfördernde Erfindung der Film- und Verlagsbranche hält, vergeht bei dieser Vorstellung jede Art von Kinderwunsch. Außerdem findet sie insgeheim sowieso, dass der Samenraub eine eher suboptimale Methode ist, um der Familie zu Zuwachs zu verhelfen. Offiziell hätte sie zwar gegen jede Form von diskriminierendem biologistischen Determinismus sofort lautstark protestiert, aber so ganz privat gesprochen wäre es ihr eigentlich doch am liebsten, wenn bei den eigenen Kindern kein fremdes Erbgut ihr gutes eigenes verderben würde.
    Also kein erschlichenes Besenkammerbaby. Woher aber dann ein Zweitkind nehmen? Samenbanken für Alleinerziehende gab es hierzulande ihres Wissens nach nicht und in allen Online-Info-Broschüren zum Thema Adoption wurde unmissverständlich klargemacht, dass ein adoptionswilliges Paar drei Jahre verheiratet sein, nicht über 40 Jahre alt und in stabilen Verhältnissen leben sollte. Als Beweis lasse das Jugendamt ein festes männliches Monatseinkommen gelten.
    Abgesehen davon, dass sie diese Kriterien frühestens in ihrem nächsten Leben erfüllen könnte, wenn sie zur Strafe für ihre vielen Sünden als Zahnarztfrau in Recklinghausen wieder geboren würde, war die Wahrscheinlichkeit, in einer stickigen Spelunke einen gut gewachsenen und kerngesunden Germanistikdozenten zu finden, immer noch ungleich höher, als als ledige Mutter jemals ein verwaistes Zweitkind zugesprochen zu bekommen.
    Sie haderte noch eine ganze Weile damit,

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