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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in ihr Labor und mischte, kühlte ab, destillierte und analysierte. Aus dem Blut der toten Kaninchen zog sie die Leukozyten ab und verwandte sie zu neuen Mischungen. Damit bespritzte sie die Giftkeime im Affenblut und setzte es in einen Brutschrank. Benischek schwitzte. Das Tagebuch füllte sich, Seite um Seite. Ihm fielen die Augen zu, er wankte im Sitzen … Da schob ihm Angela Bender Zigaretten und Kaffee hin. »Nicht schlappmachen, Fritze«, sagte sie. »Wir müssen es schaffen!« Da riß sich der alte Mann zusammen und schrieb weiter, was sie diktierte.
    Sie hat keine Nerven, dachte er. Das ist ein Weibsbild! Kräfte wie ein Herkules! Diese schmale kleine Frau. Es ist unglaublich; es ist, als ob sie besessen wäre! Zwei Tage und drei Nächte ohne Unterbrechung! Da brechen ja harte Männer zusammen. Und sie sitzt da und arbeitet weiter … Blaß, nach vorn gebeugt, in ihrem weißen, bespritzten Mantel …
    Reagenzglas um Reagenzglas füllte sich in den Ständern – mißlungen! Nicht reagiert, zu schwach, mißlungen! Dreiundneunzigmal mißlungen! Ohne Wirkung.
    Es war zum Verzweifeln. Benischek verlor die Nerven und begann zu heulen. »Machen Sie Schluß!« rief er und warf das Tagebuch auf den Boden. »Ick halte det nich mehr aus! Wir jehen ja vor de Hunde!«
    Und von neuem schob Dr. Bender ihm die Zigaretten und den Kaffee hin, und Benischek hob das Tagebuch auf und schrieb weiter …
    Versuch 103 – mißlungen.
    Versuch 117 – ohne Befund.
    Versuch 132 – mißlungen.
    Der dritte Tag kam. Er ging vorüber wie die beiden vorangegangenen. Nur die Hände begannen jetzt zu zittern, die Augen lagen tief in den Höhlen, die Wangen waren eingefallen. Auf dem Gehirn lastete ein Druck, als lägen Zentner auf dem Kopf. Jeder Atemzug schmerzte. Der Rücken war krumm, man schrie, wenn man aufstand …
    Mikroskop. Blutproben. Säuren. Basen. Sera. Mikroskop …
    Versuch 156 – ohne Befund.
    Versuch 175 – mißlungen.
    Es war ein Wettlauf mit dem Tod. Ein Wettrennen der Kräfte. Jetzt aufhören würde Untergang bedeuten. Nie würde der Körper noch einmal seine letzten Reserven hergeben, nie würde sich wieder eine Frau mit der Kraft der Verzweiflung aufrecht halten.
    Mischen. Kochen. Mischen. Versuchen. Mischen. Einspritzen …
    Die Blutmasse des kleinen Affen ging zu Ende. Das Gift der ›Schwarzen Witwe‹ war verbraucht.
    Die letzten Versuche.
    Der Tag wurde fahl. Die Dämmerung kroch ins Zimmer. Die Lampen gingen von neuem an. Die Nacht kam … Die letzten Versuche!
    Es war die Nacht vom 22. zum 23. Juni – ein Freitag.
    Angela Bender saß über dem Mikroskop und hielt den Tubus umklammert. Vor ihr, im runden Lichtfeld des Okulars, lag der Versuch Nr. 194.
    Mit einer Hohlnadel tropfte sie eine winzige Menge eines vor drei Stunden entwickelten Serums auf die Giftkristalle.
    Vor ihren Augen flimmerte es. Sie stützte den Kopf auf das Gerät und schloß die Lider. Am Ende, dachte sie. Ich muß ein Ende machen. Ich kann nicht mehr … Es wird zuviel. Ich schaffe es nie … Jetzt weiß ich es, daß ich es nie schaffen werde … Es war Verblendung, Versuchung des Schicksals. Die kleine Bender will den Tod bekämpfen …
    Sie richtete sich auf und sah Benischek an. Er saß am Tisch, war aber ein wenig eingenickt. Als sie sich jetzt rührte und ihr Stuhl knackte, fuhr er aus dem Schlummer hoch.
    »Versuch – mißglückt?« fragte er monoton und zu Tode matt. Sie blickte in das Okular. Und plötzlich schrie sie auf, grell, und stieß den Stuhl zurück.
    Benischek war aufgesprungen und stürzte zu Angela hin. Jetzt ist sie wahnsinnig geworden, durchzuckte es ihn. Aber dann stand er starr.
    Denn Dr. Angela Bender tanzte wie wild um ihren hingefallenen Stuhl herum, stürzte dann Benischek an die Brust, küßte ihn auf die sprachlosen Lippen, wühlte sich die Haare durcheinander und lehnte dann tiefatmend an der Tür.
    Ihre Augen waren weit aufgerissen, eine hektische Röte überzog ihre blassen, eingefallenen Wangen.
    »Das Serum löst die Kristalle auf«, stammelte sie, als könne sie es nun nicht mehr fassen. »Fritze, guter Fritze … Begreifen Sie es? Das Serum löste die Kristalle auf!«
    Benischek umklammerte sein Tagebuch, als müsse er daran Halt suchen.
    »Sie haben das Gegenmittel gefunden?« fragte er leise. In dieser Minute sprach er hochdeutsch, er vergaß für eine Sekunde, daß er Berliner war.
    »Ich hoffe es, Benischek, ich hoffe es!« Sie rannte wieder zu dem Mikroskop und blickte noch einmal hindurch.

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