Wir sind nur Menschen
schnarchte laut. Er hielt die Nächte nicht mehr wachend durch. Seine Nerven waren mürbe geworden. Wenn Angela Bender die Impfserien auswertete, war es für ihn das Signal, sich aufs Sofa zu legen und brummend einzuschlafen. Nur wenn seine Tiere ihre Injektion erhielten, dann war er wach. Er hielt den Kaninchen die Köpfe fest und sprach den Tieren zu wie einem kranken Kind. Jeder Stich der Spritze traf ihn ins eigene Herz. Aber es mußte ja sein, er verstand es schon, wenn er auch seit zwanzig Jahren die Grausamkeit der Menschen verfluchte. Bis die Tiere dann starben, blieb er immer neben den Käfigen sitzen. Traurig, voller Mitleid. Ein Bild des Jammers.
Erst wenn seine Tiere von Dr. Bender seziert wurden, legte er sich auf das Sofa und schnarchte weiter, im Traum noch seine vollpelzigen Lieblinge streichelnd.
Nach vier Wochen Kampf mit den Giften ließ sich Dr. Bender unter dem Namen Professor Purrs vom Hamburger Tropeninstitut drei Nährböden mit dem Gift der ›Schwarzen Witwe‹ schicken. Es kam aus dem Zoologischen Garten von London, der zu Forschungszwecken einige Exemplare der giftigsten aller Spinnen besaß.
In der Nacht vom 18. zum 19. Juni 1951 begann Dr. Angela Bender mit der ersten Versuchsreihe der ›Schwarzen Witwe‹. Systematisch impfte sie in verschiedenen Dosierungen einige Kaninchen, vier Ratten und einen kleinen Affen. Nach genau vierundachtzig Minuten starben die Ratten und die Kaninchen. Der kleine Affe fieberte noch weitere zwanzig Minuten, wurde nach vier Stunden gelähmt und starb nach sieben Stunden gegen Morgen. Von allen Stadien wurden ihm Blutproben entnommen. Benischek, der nun nicht mehr schlafen durfte – er knurrte drei Tage deswegen –, führte gewissenhaft ein Tagebuch. Am Morgen, bevor die anderen Laboratorien sich bevölkerten, hatte er alle Mühe, sämtliche entliehenen Geräte an die richtigen Stellen zurückzuschaffen. Niemand sonst wußte von dem kleinen Labor. Einmal nur meinte Professor Dr. Purr in diesen Wochen: »Wo waren Sie denn gestern, Dr. Bender? Ich wollte mit Ihnen einen Fall durchsprechen. Ihr Kindermädchen sagte am Telefon, Sie seien nicht zu Hause. Vorgestern war es genauso. Gehen Sie nicht zuviel aus? Sie sollten mehr Ihrer Gesundheit leben!« Er lachte. »Das ist der gute Rat eines alten Mannes – na, nichts für ungut!« Von den Kollegen in der Klinik sonderte sich Angela ab. Sie hatte keine Zeit für Geselligkeiten, sie besuchte kein Kino, sie schlug die anfangs zahlreich eingehenden Einladungen mit dem Hinweis auf ihr Kind ab und wunderte sich auch nicht darüber, daß man sie bald in Kollegenkreisen als absonderlich betrachtete und keine Anstrengungen mehr unternahm, sie in die lustige Gemeinschaft der anderen Ärzte und Ärztinnen aufzunehmen. Ihre Freizeit, ihre Abende gehörten den Giften. Sie baute sich aus den Retorten und Kolben eine neue Welt, in der es nur das eine Ziel gab: den einsamen Mann in den Urwäldern von Amorua zu retten.
Das vom Gift der ›Schwarzen Witwe‹ verseuchte Affenblut wurde zur Grundlage einer umfassenden Forschung. Unter dem Vorwand, zur Regelung einiger Angelegenheiten aus ihrer ehemaligen Praxis nach Köln fahren zu müssen, nahm sie sich drei Tage frei und saß nun drei Tage und drei Nächte bei Benischek hinter den Experimentiertischen.
›Fritze‹ hatte den Raum von außen verschlossen, um Überraschungen zu vermeiden. Wenn es einmal an der Tür klopfte, verhielt sich Angela still. Erst wenn sich die Schritte entfernten, beugte sie sich von neuem über ihre Präparate. Das Fehlen verschiedener Geräte in den einzelnen Labors entschuldigte Benischek jeweils mit Reparaturen oder notwendig gewordenen Reinigungen. Wenn sein Feierabend gekommen war, rannte er in die Stadt, kaufte ein, kochte für Angela in seiner kleinen Küche ein Abendessen und servierte es ihr auf einem riesigen Tablett.
Nun gab es keine Ruhe mehr, keinen Schlaf, keine Stunde Freizeit. In diesen Stunden und Tagen gewöhnte sich Angela das Rauchen an. Die Zigarette in den Mundwinkeln, saß sie am Mikroskop, und ihre Augen brannten. Starker Bohnenkaffee dampfte auf einem Nebentisch. Zwischen zwei Schlucken schob sie neue Objektträger auf den Objekttisch und beobachtete die Wirkung der beigegebenen Sera. In den Nächten benutzte sie dann das große Elektronenmikroskop im Hauptlabor und ließ die Gifte in vieltausendfacher Vergrößerung vor ihren Augen tanzen. Sie starrte gebannt auf das Spiel der tödlichen Kräfte.
Dann rannte sie zurück
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