Wir tun es für Geld
trieft als trübes graues Rinnsal über die untere Kante und bildet eine unappetitliche Pfütze am Boden… Nein… Ich bin ein Ozean… Quatsch, wieso ein Ozean?… Was Kleines. Ich bin eine Darmbakterie, und irgendwie bin ich vom Dickdarm in den Dünndarm gewandert und kann nicht mehr zurück. Hier im Dünndarm kennt mich keiner, und all der Scheiß, den ich im Dickdarm gebaut habe, ist ab sofort…
»Sie hammisch angedözt!« 1
Was? Ach so, der dünne junge Mann, den ich vorhin gesehen habe, ist nun tatsächlich mit einem von den Fettbergen kollidiert. Lustig, dass nicht er, sondern der Berg sich beschwert.
»Sie haben MICH angedözt, weil Sie nicht aufpassen, wo Sie hintreiben mit Ihrem ganzen Fett!«*
Also, deeskalierend war das jetzt aber auch nicht gerade. Während die beiden sich noch ein wenig weiterbalgen, bekomme ich zumindest das beruhigende Gefühl, dass ich nicht der einzige Vollidiot in diesem Becken bin.
Ganz langsam lasse ich mich wieder nach hinten sinken. Also, jetzt mal etwas abstrakter. Ich stelle mir einfach Leere vor. Eine riesig große dunkle weite Leere… Wobei, wer sagt eigentlich, dass Leere dunkel ist? Kann Leere auch hell sein? Ich dreh mich im Kreis. Also, sagen wir als Notbehelf, dass Leere die Farbe von Haferschleim hat. Das liegt doch etwa genau zwischen hell und dunkel, oder? So, und in dieser haferschleimfarbenen Leere ist alles aufgelöst, was war. Meine Vergangenheit ist in mir, aber sie berührt mich nicht mehr…
Was ist das? Nein! Tut mir das nicht an! Bitte nicht Anatol Kolumbanovich als Unterwassermusik…
Ines!!! Bitte!!! Ich liebe dich!!!
* * *
»So ganz erholt sehen Sie mir aber noch nicht aus, Herr Fink.«
»Iwo, Frau Kohlmeyer, mir geht es blendend.«
»Aber Ihre Augen und Ihre Gesichtsfarbe, irgendwie will mir das alles nicht so recht gefallen. Ich mache Ihnen am besten noch einen Brennnesseltee zur Stärkung, wenn wir nach Hause kommen.«
»Das ist wirklich furchtbar nett von Ihnen, Frau Kohlmeyer, aber ich werde an der nächsten Station aussteigen. Ich muss nämlich dringend noch zur Videothek.«
* * *
»EINS – ZWO – DREI – VIER… und Schluss für heute!«
»Oh, schon Schluss? Also ich könnte noch eine halbe Stunde…«
»Jetzt lass mal gut sein, Ekkehart. Immerhin bist du vor kurzem noch zusammengeklappt.«
»Aber ich hab schon ein viel besseres Körperge…«
»Und außerdem wollten wir doch unseren Spezial-Videoabend machen, weißt du nicht mehr?«
»Hm, vielleicht gehe ich einfach vorher noch eine kurze Runde joggen?«
»Ekkehart: NEIN!«
»Na gut, Lukas.«
»Also, wir sehen uns um neun bei uns?«
»Ja, geht in Ordnung. Ich treff mich noch kurz mit Karlchen, dann komm ich.«
Puh. Während Ekkehart zu den Duschen schlurft, wechsele ich einen Blick mit Ines. Wollte er uns damit schon wieder was sagen? Ines schüttelt den Kopf. Wir müssen ruhig bleiben.
Sie kommt herüber und zieht mich in eine Ecke. Der Duft, den sie so frisch durchgeschwitzt vor sich herträgt, ist unwiderstehlich. Ich halte den Atem an, aber es ist schon zu spät. Sie ist in mir drin, schwebt sanft bis in die hintersten Winkel meines Hirns, und mein Verstand schreit in Todespanik.
»Lukas, ich hab gehört, du hast dich mit Vanessa… ausgesprochen?«
»Ja, wir haben, also, das heißt, ächz…«
Für einen winzigen Moment sehe ich, dass es Ines große Überwindung kostet, das zu sagen, was sie jetzt sagt. Doch ihre Stimme klingt sehr fest, als sie es tut.
»Warum hast du das gemacht? Ich hab dir gesagt, dass aus uns beiden nichts wird.«
Sie schaut knapp an meinen Augen vorbei, als würde sie mein rechtes Jochbein fixieren.
»Ja, weiß ich.«
Die Tränen steigen von unten hoch, aber ganz oben auf die Leiter stelle ich einen muskelbepackten Türsteher, der ihnen laut und hämisch »Versuchts gar nicht erst!« entgegenruft.
»Weißt du, das hat gar nicht nur mit uns zu tun, Ines. Ich muss einfach irgendwie neu anfangen, hab ich gemerkt.«
»Neu anfangen? Wie muss ich mir das vorstellen?«
»Weiß noch nicht genau. Ich überleg gerade, ob ich vielleicht in ein Kloster gehe.«
»Was? Nicht dein Ernst, oder?«
»Na ja, vielleicht eine Zeitlang.«
»Hm.«
Die ersten Tränen hat der Türsteher unter Hohngelächter wieder in die Tiefe gestürzt. Aber jetzt werden es allmählich zu viele. Er kämpft tapfer, aber es ist abzusehen, dass er gleich selber runtergestoßen wird. Dann wird es kein Halten mehr geben.
»Du, lass uns mal lieber
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