Wir tun es für Geld
zu kichert sie und schüttelt so entzückend den Kopf, dass ich sie sofort küssen möchte. In meinem Klecks-Hemd fühle ich mich jetzt richtig wohl. Gut, dass ich keine Zeit hatte, es zu wechseln.
»Darf ich dem Augenschmaus nun die Vorspeise folgen lassen?«
Nicht, dass ich mir diesen Satz zurechtgelegt hätte. Er kam einfach so. Ines nickt und sieht mich an, als wäre sie sechs Jahre alt und ich hätte sie gefragt, ob sie jetzt ihren Weihnachtsgabentisch sehen wolle.
In der Küche steht alles griffbereit. Der Spinat mit Birne und Blauschimmelkäse ist eine Pracht. Von weitem wie eine Blüte mit grünen Blättern und hellem Inneren, von nahem einfach wie etwas, das einem gleich alle Säfte auf der Zunge zusammenfließen lässt. Frau Kohlmeyer muss in den letzten Stunden mindestens fünfmal über ihren Schatten gesprungen sein… Und jetzt schmort sie auf dem Balkon. Und »schmort« ist leider viel zu positiv formuliert.
Ines’ Besteck blitzt im Kerzenschein auf, und während sie das erste Spinatblatt zerkaut, strahlt sie mich schon wieder an. Ich hätte nie gedacht, wie anstrengend es sein kann, zurückzustrahlen, wenn man sich darauf konzentrieren muss, die Sorge, die einen gerade plagt, aus dem Blick herauszuhalten. Vor allem, wenn man den Anlass der Sorge jederzeit beseitigen könnte. Aber die drei wollten es so. Sie wären mir böse, wenn ich jetzt…
»Lukas, du machst es mir richtig schwer, zu meinem Wort zu stehen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich find das hier so schön, ehrlich, ich will jetzt gerade eigentlich nie wieder weg.«
Ah, die neue Anrufbeantworter-Ansage. Und Ines’ Gesicht sieht einen kurzen Moment ganz bezaubernd nach »Ups, was habe ich da gerade gesagt« aus, bevor sie wieder leise kichert und den Kopf schüttelt. Wenn ich nur nicht genau wüsste, dass die drei vom Balkon schon eine Viertelstunde…
Ines nimmt meinen Arm, schaut mich an, will etwas sagen, überlegt es sich dann anders und schüttelt einmal mehr den Kopf.
»Was wolltest du sagen?«
»Was Dummes.«
»Ich liebe dumme Sachen.«
»Später. Vielleicht. Sag bloß, der Wein ist schon alle?«
»Oh nein, natürlich nicht.«
Nicht mal einen heißen Tee haben die da draußen…
Wir stoßen noch einmal an. Ines macht schon wieder das Gleiche. Mich ansehen, den Kopf schütteln und kichern, als könnte sie immer noch nicht glauben, dass das hier wirklich passiert. Von mir aus kann es noch ewig so weitergehen. Vielleicht ist das die Stunde, auf die mein ganzes Leben hingezielt hat.
Jetzt wäre der Hauptgang dran. Frau Kohlmeyer hat vorsichtshalber alles bei leichter Hitze im Backofen warmgestellt…
Warmgestellt. Nein. Schluss. So geht das nicht.
»Ines, bevor wir weiteressen…«
Ihr Gesicht friert ein. Klar, was sie denkt. Und es ist ein wunderbares Gefühl, dass man jetzt einen großen Fehler machen könnte, ihn aber nicht macht. Kein Kniefall, kein tränenreiches Liebesgeständnis Nr. 5, keine ungestüme Kussattacke.
»… möchte ich dir kurz ein paar Freunde vorstellen.«
Ines’ Züge entspannen sich sofort wieder.
»Oh, du hast noch Freunde hier? Wo denn? Hinter dem Vorhang? Hinter dem Regal? Unter dem Sofa? Ha, nein, bestimmt an der Decke, wie bei Leon , der Profi… «
Ich überlege kurz. Zu viel Pathos? Nein, genau so:
»Bis jetzt waren es einfach nur Freunde. Aber seit heute weiß ich, dass es die allerbesten Freunde sind, die ich je gehabt habe.«
Ich ziehe den Vorhang zurück und mache die Balkontür auf. Wir sehen Viktor, Ekkehart und Frau Kohlmeyer. Sie stehen zu dritt ganz eng aneinandergekuschelt und bibbern. Die dunkelblaue Fleecedecke, die sie sich im letzten Moment noch im Wohnzimmer greifen konnten, haben sie um sich herumgewickelt, so dass sie auf den ersten Blick wie ein viel zu groß geratenes Stück Sushi aussehen.
Ein viel zu groß geratenes Stück Sushi, das reden kann.
»L… L… Lukas…«
»Da… da… das hätte…«
»Ni… ni… nicht sein mü… mü… müssen.«
* * *
Die Gesichter haben jetzt alle wieder Farbe. Die Balkonexilanten sitzen auf dem frisch bezogenen Sofa, und jeder hat einen Becher von Frau Kohlmeyers gutem Brennnesseltee getrunken. Zum Glück haben alle drei sofort nach ihrer Befreiung unisono bestätigt, dass das ihre eigene bescheuerte Idee gewesen ist, und dass ich über jeden Verdacht, ein Menschenquäler zu sein, erhaben bin. Ines’ Blick, der für einen kurzen Augenblick begann, mich mit Zimmermannsnägeln an die Wand zu tackern, wurde
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