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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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merkwürdige Mischung aus Kichern und Schluchzen.
    „Deine Tante hat von der Sache nicht die geringste Ahnung?“, fragte ich vorsichtig nach.
    „Ich ...“. Er zögerte. „Ich weiß es nicht. Aber selbst wenn: Sie duldet mich nur.“
    „Das ist doch nicht zum Aushalten!“ Hilko warf wutentbrannt seine Kippe in den Sandkasten. Sie war noch nicht einmal zur Hälfte abgebrannt. „Deine Tante kann das doch nicht zulassen!“
    Töffels Gesicht war blass, er sah krank aus und die dunklen Ringe um seine Augen schienen sich vergrößert zu haben. Als hätte er ein bizarres Make-up aufgelegt. So schminkten sie die Toten in den Samstagabendfilmen. Aber Töffels Stimme klang jetzt ganz klar, das Zittern, Glucksen und Kichern war verschwunden. „Verstehst du nicht?“, fragte er Hilko. „Ich bin geduldet. Sie tut nur ihre Pflicht. Sie zieht mich groß. So wie man am Donnerstag den letzten Müll runterbringt, weil am nächsten Morgen die Tonnen geleert werden. Wie sie zweimal im Monat zum Friseur geht oder ihren beschissenen Wellensittich füttert und den Käfig regelmäßig saubermacht. Oder fast jeden Abend mit dem größten Arschloch der Stadt fickt!“ Sein Atem ging stoßweise, das letzte Wort hatte er fast geschrien. Auf dem Fußweg hinter den Büschen warf uns eine Frau mit zwei Einkaufstaschen einen strengen Blick zu und ging dann kopfschüttelnd weiter. „Und dann soll ihr Neffe, den sie doch nur planmäßig großzieht, mit irgendwelchenGeschichten kommen?“
    Wir wussten nichts darauf zu erwidern.
    „Wie findest du denn unseren Plan?“, fragte Hilko nach einigen Sekunden Stille. Ich wollte ihm ein Zeichen geben, jetzt besser zu schweigen. Nicht schon wieder mit seiner verrückten Idee anzufangen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, Töffel zu helfen. Aber Töffel kam mir zuvor.
    „Ja“, sagte er. „Vielleicht klappt es. Aber nur einer bekommt Eugen in den Keller.“ Er sprach den Namen des Mannes wie ein schmutziges Schimpfwort aus. „Ich. Und je eher es passiert, desto besser.“
    Hilko löste sich aus seiner Erstarrung. „Dann lasst uns alles besprechen.“ Er kramte seinen Tabaksbeutel hervor und drehte sich eine Zigarette. Seine Hände zitterten ein wenig. Plötzlich war selbst er von der Entwicklung überrollt worden. Ich hatte tausend Einwände, die Angst umklammerte mich und nahm mir die Luft zum Atmen, aber ich schwieg.
    „Machst du mir auch eine?“, fragte Töffel. Zuerst verstanden wir nicht, was er meinte. „Eine Zigarette“, erläuterte er. „Aber du musst sie mir drehen. Ich kann das nicht.“
    Zögernd pflückte Hilko ein Blättchen aus seinem Vorrat.
    Töffel hustete einige Male, wurde noch bleicher – was ich zuvor für unmöglich gehalten hatte – aber rauchte sie bis zum letzten Zentimeter.

    Töffel schätzte, dass er einige Tage zur Vorbereitung benötigte. Vorbereitung bedeutete, wie er uns erklärte, dass er Eugens Nähe suchen musste. Wenn der Hausmeister zum Abendessen erschien, was zwei- bis dreimal in der Woche geschah, würde sich Töffel dazusetzen, nett sein und von seinem Lieblingsort erzählen: dem Bauernhof, den wir nur Hausfriedensbruch nannten. Töffel war davon überzeugt, den Mann zu einem gemeinsamen Besuch überreden zu können.
    Wir beschlossen, dass Markus, Leo und ich hinter der Kellertür mit dem Fotoapparat lauern sollten. Falls etwas schief ging, konnten wir vielleicht gemeinsam mit Graukittel fertig werden. Hilko schied aufgrund seiner Verstauchung aus. Markus´ Bruder besaß mehrere Kameras. Er war fast ein Profi und veran-staltete für seine Freunde mehrmals im Jahr Diaabende. Manchmal durfte sich Markus eine der Kameras ausleihen. Natürlich keine von den teuren. Aber sein Bruder hatte ihm immerhin beigebracht, wie man ganz ordentliche Bilder machte. Also sollte Markus das Foto schießen, anschließend musste Töffel sofort den Kellerraum verlassen, Leo und ich würden dann die Tür von Graukittels Gefängnis verschließen. Da es aber zu dem alten Türschloss keinen Schlüssel mehr gab, mussten wir zuvor noch neue Riegel anbringen.
    Hilko bezeichnete sich als unsere Versicherung. Er würde im Gebüsch warten. Falls zehn Minuten, nachdem Töffel mit Graukittel das Gebäude betreten hatte, von uns keine Entwarnung kam, wollte er die Polizei verständigen. Niemand sollte glauben, dass ihm seine Rolle behagte, aber mit Krücke und Verstauchung konnte er uns unmöglich in den Keller begleiten. Für mich gab es da gar keinen Zweifel: Hilko war kein

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