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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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Drückeberger, das hatte er oft genug bewiesen.
    Drei Tage vergingen. Töffel redete nicht viel über das, was bei ihm zu Hause geschah. Er verbrachte weniger Zeit mit uns als sonst, denn er wollte jede Gelegenheit nutzen, um das Vertrauen – er sagte tatsächlich Vertrauen – von Graukittel zu gewinnen. Eine verrückte Situation. Aber Töffel schien viel weniger Angst zu haben. Er hatte ein Ziel vor Augen und wusste um die Unterstützung seiner Freunde. Ich wünschte mir, dass die Sache funktionierte und entwickelte eine große Sorgfalt bei der Vorbereitung unseres Plans. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Ich bestand darauf, zwei Riegel an der Kellertür anzubringen und sie zusätzlich mit einem Holzbalken abzustützen, der gegen die gegenüberliegende Wand gestemmt wurde. Aus dem Raum wurden alle Dinge entfernt, die Graukittel zur Befreiung oder als Waffe benutzen konnte. Selbst ein halbes Dutzend hervorstehender Nägel zog ich eigenhändig mit einer Zange aus den Wänden. Das Gefängnis sollte nicht mehr als ein paar angeschimmelte Pornohefte beinhalten. Wir beschlossen sogar, auf einen Eimer zu verzichten. Sollte der Mistkerl doch in die Ecke kacken!
    Um keinen Verdacht zu erwecken, durfte das kleine Fenster erst nach dem Zuschnappen der Falle verschlossen werden. Mit einem Brett, vor das wir ein schweres Ölfass stellen wollten. Die Zeit vom Verriegeln der Kellertür bis zum Abdichten des Fensters war ein Schwachpunkt von ungefähr einer Minute in unserem Plan. So lange würden wir vom Keller bis nach draußen benötigen, um zu dem Fass zu gelangen. Ich hatte das mit dem Sekundenzeiger von Hilkos Armbanduhr gestoppt. Aber es gab keine andere Möglichkeit, das Metallfass war noch immer fast vollständig gefüllt. Ob mit Öl, Insektenvernichtungsmittel oder einer anderen Flüssigkeit wussten wir nicht. Der gelbe Deckel war fest verschlossen. Nur zu dritt ließ sich der Behälter bewegen.
    Wir probten Graukittels Gefangennahme mehrmals am Tag. Jeder musste wissen, was er zu tun hatte und durfte den anderen nicht im Weg stehen. Ich bestand trotz Markus´ Protest darauf, dass er ein halbes Dutzend Blitzlichter verbrauchte. Einmal schaute ich direkt in das grelle Licht, um mich davon zu überzeugen, dass unser Gefangener danach tatsächlich hilflos sein würde. Für eine ganze Weile sah ich nichts als violette und grellgelbe Wirbel vor schwarzem Hintergrund und das war gut so.
    Töffel konnte bei den Vorbereitungen nicht dabei sein. Seine Aufgabe war weitaus schlimmer.

    Der nächste Montag brachte alles unwiderruflich ins Rollen. Töffel betrat mit dem Klingelzeichen die Klasse. Ich war ausnahmsweise einmal pünktlich gewesen und saß bereits auf meinem Platz. Leo übertrug hastig die letzten Vokabeln in sein Heft. Er war so sehr damit beschäftigt, die Hausaufgabe vom letzten Freitag zu vollenden, dass er Töffel erst bemerkte, als der ihm eine Hand auf die Schulter legte. Erstaunt sah Leo auf. Töffel lächelte, seine Wangen waren gerötet und die Augen glänzten fiebrig. Zuerst dachte ich, er wäre tatsächlich erkrankt, aber dann sagte er: „Er kommt. Heute nachmittag.“
    Es war die Aufregung, die unseren Freund erhitzte. Und unverhohlene Freude.
    Das unvermeidliche „Good morning, boys and girls! Sit down, please!“ unseres Englischlehrers ertönte. Er besaß zwei Jacken: Eine grüne und eine braune. Beide aus Cord. Heute trug er die grüne und unter dem Arm einen Stapel nach Alkohol riechender Kopien: Einen Vokabeltest. Ich sollte das drittschlechteste Ergebnis der Klasse abliefern, denn vor meinen Augen verschwammen celebration und astonishment zu unverständlichen Buchstabenkombinationen. Aber das war völlig egal, denn es ging los.
    Heute Nachmittag!
    In der Pause kamen wir endlich dazu, uns alles von Töffel erzählen zu lassen.
    „Kaffee und Kuchen“, begann er. „Ich habe gestern sogar mit ihm und meiner Tante Kaffee und Kuchen gegessen. Er hat sich dabei die Schlagsahne bis hinter die Ohren geschmiert. Und ich habe geredet und geredet. Von der Schule, von euch, meinen Schildkröten ...“
    „Und von Hausfriedensbruch“, unterbrach ihn Hilko ungeduldig.
    „Oh ja! Das Beste ist, ich musste ihn noch nicht einmal einladen.“
    „Er hat sich selbst eingeladen“, vermutete Markus.
    „Nein!“ Töffel kicherte in seine kleine Faust. Eine Geste, die mich beunruhigte. Eigentlich war ihm überhaupt nicht zum Kichern zumute. Er breitete in einer theatralischen Geste die Arme aus und sagte

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