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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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wurde von einer Sekunde zur anderen ganz heiß. Alle Geräusche im Klassenzimmer klangen wie aus weiter Ferne. Hilko hatte es vorausgesagt: Es kam Bewegung in die Sache.
    Die Deutschstunde schien sich unendlich auszudehnen. Meine Gedanken kreisten nur um das eine Wort: Polizei.
    Zwischen der dritten und vierten Stunde hatten wir nur fünf Minuten Pause. Der Deutschlehrer verließ die Klasse und Sekunden später eilten wir vor die Tür.
    Töffels Gesicht hatte wieder seine gewohnte blasse Farbe angenommen. Er hielt beide Hände auf Augenhöhe und musterte sie. „Das war das Schwierigste“, sagte er.
    Wir sahen ihn an, als sei er verrückt geworden. Er lächelte kurz. „Na, die Hände durften doch nicht zittern. Als der Polizist mit mir sprach, habe ich mich die ganze Zeit einfach draufgesetzt.“ Töffel erzählte, dass seine Tante gleich am Morgen in Grundmanns Wohnung geflitzt war. Als sie feststellte, dass der Hausmeister noch immer nicht zurückgekehrt war, musste Töffel mit ihr zur Polizei. „Der Polizist meinte, es sei noch zu früh, um etwas zu unternehmen. Außerdem kannten die ihn schon auf der Wache.“
    „Ach?“, machte ich erstaunt.
    Töffel nickte grinsend. Er war auf einmal geradezu gut gelaunt. „Ja. Sie hatten sogar eine Akte von ihm. Ich wette, wenn so einer mal für einige Zeit verschwindet, wundert sich kein Mensch.“
    „Aber Grundmann ist doch krank und hat sein Zeug vergessen“, bemerkte Markus.
    „Das Insulin“, bemerkte Töffel. „Der Polizist meinte, wir sollten uns erst in ein paar Tagen wieder melden. Der Bursche ... .“ Töffel machte eine Pause und fuhr mit großen Augen fort: „Er hat tatsächlich der Bursche gesagt! Also: der Bursche wird schon wieder aus irgendeinem Loch kriechen. Meine Tante wollte laut werden, aber der Mann beugte sich über den Schreibtisch und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Da hat sie nichts mehr gesagt.“
    „Klingt gut“, meinte Leo. „Die scheinen das Arschloch zu kennen. Vielleicht ist er schon früher mal dabei erwischt worden, wie er ...äh... Mist baute.“ Er sah uns zufrieden an. „Wenn Charlie jetzt noch mit sich reden lässt, sind wir aus dem Schneider.“

    Pünktlich um Vier gingen Markus, Leo, Hilko und ich zu Charlie. Töffel wartete in der Nähe. Er hatte uns zwei Mark gegeben und kleinlaut gefragt, ob er unbedingt mitkommen müsste. Als wir uns dem Wohnblock an der Eichenstraße näherten, wünschte ich mir, Töffel Gesellschaft leisten zu können. Allein der Anblick von Charlies Moped, das da angeberisch in poliertem Grünmetallic auf einem nachträglich angeschraubten Seitenständer neben der gläsernen Eingangstür parkte, schnürte mir die Kehle zu. Charlie wohnte im ersten Stock bei seinen Eltern. Die Münzen in meiner Hand – genau zehn Mark – fühlten sich ganz warm an. Mehrere Paar Schuhe standen kreuz und quer auf der Fußmatte vor der Wohnungstür. Die schwarzen, halbhohen Lederstiefel mit der Silberkappe gehörten Charlie.
    Leo wischte sich mit der Faust über die Nase. „Na, dann wollen wir mal.“ Er wollte zuerst mit unserem Erpresser reden, um ihm klarzumachen, dass die Münzen in meiner Hand unsere erste und letzte Zahlung waren. Hilko glaubte nicht, dass Leo damit Erfolg haben würde. Leo klopfte. Von innen näherten sich eilige Schritte, die Tür wurde aufgerissen. Ein höchstens zehnjähriges Mädchen starrte uns an. Sie trug ein verwaschenes T-Shirt mit einer US-Flagge auf der Brust, dessen leuchtendes Rot und Blau sich in blasse Pastelltöne verwandelt hatten. Ohne ein Wort zu uns, drehte sie sich um und quietschte: „Charliiie! Für diiich!“ Ihr großer Bruder kam auf weißen Socken den Flur entlang. Charlie ohne seine Stiefel zu sehen, ließ ihn ein wenig weniger bedrohlich wirken. Er grinste schief und streckte uns wortlos die Hand entgegen. Eine Münze rutschte zwischen meinen schweißnassen Fingern hindurch, kullerte über die Fußmatte und wurde von einem Turnschuh gestoppt. Ich bückte mich und hob sie auf. Charlie schnaubte verächtlich und gab mir eine Kopfnuss. „Lass das“, protestierte ich zaghaft und gab ihm das Geld. „ Lass das “, äffte er mich mit verstellter Stimme nach. Hinter ihm lugte das Mädchen um die Ecke und verschwand wieder. „Morgen um die selbe Zeit“, sagte Charlie und wollte die Tür schließen.
    „Moment!“ Ich beobachtete überrascht, dass Leo einen Schritt nach vorn machte. „Wir wollten dir noch sagen, dass es kein Geld mehr gibt.“ Leos Stimme zitterte ein

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