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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Zimmer, Lieber. Ich wohne gleich nebenan. Du wirst dich sicher erst frisch machen wollen?«
    Natürlich muß ich mich ein wenig frisch machen. Der Koffer schnappt auf. Ich habe den Schwamm vergessen. Aber dafür hat sich ein Häkeldeckchen von Frau Roselieb an die Zahnbürste angehängt und macht nun seine italienische Reise.
    »Italienische Reise von – bis –?«
    Es liegt wirklich nur an der Müdigkeit. Das kalte Wasser auf dem Schädel tut gut.
    Die Leute reden hier alle ziemlich laut. Aus dem Hof, drei Stock tiefer, schallt ein fröhliches Palaver herauf. Reizend sieht das aus, da stehen weißgedeckte Tischchen zwischen Efeuwänden, und dazwischen wird zu Mittag gegessen. An den altersgrauen Mauern hängen kleine Vogelbauer, in denen Vögel singen. Arme Vögel! Das Ehepaar ißt Spaghetti. Ach, so machen die das? Wirklich elegant. Ich werde es nie lernen: das so mit einem Wuppdich um die Gabel zu wickeln.
    Der Kellner ist also ein richtiger Veroneser. Einer wie der Dingsda – na, Shakespeare – Romeo, natürlich. (›Dritter Klasse ohne Schlafwagen!‹)
    Wenn man denkt, daß Romeo und Julia da unten miteinander Spaghetti gegessen haben könnten! Das Haus ist ja so uralt. Wenn Julia in meinem Zimmer gewohnt hätte – draußen an der Hausmauer ist ein uralter Haken, an dem hätte er die Strickleiter festmachen können. Ich hätte es bequemer: Meine Julia wohnt nebenan.
    Was heißt ›hätte‹ – ich habe es bequemer. Habe ich es bequemer? Wie komme ich nur immer wieder auf das alberne Wort ›Gilleleje‹? Ich sehe einen Campanile gegen den tiefblauen Himmel. So einen Himmel gibt es in Dänemark sicher nicht.
    »Ja, bitte?«
    »Bist du fertig?«
    »Komm nur rein.«
    Dieser zweite Kuß – der erste war ein offizieller Begrüßungskuß auf dem Bahnsteig – ist ein bißchen verrutscht.
    »Gefällt es dir hier?«
    »Prima, Wera! – Du, das ist ja ein tolles Wortspiel: ›Prima, Wera – primavera‹. Du bist mein Frühling, Wera.«
    »Spielst du immer noch soviel mit Worten?«
    »Soviel wohl nicht mehr. Man wird schließlich älter.«
    Wera sagt ziemlich leise, sie sei auch älter geworden – sehr viel älter. Ich leugne es ab. Sie glaubt es mir nicht. Ich glaube es mir selber nicht. Natürlich ist alles noch ein bißchen fremd hier – auch Wera. Am liebsten möchte ich heulen. Aber das liegt wohl wirklich an der Müdigkeit – oder dem Hunger.
    Wir essen zusammen zu Mittag. Nicht drunten im Hof, sondern in einer schmalen Gasse gleich hinter der Piazza delle Erbe. Die blendendweiß gedeckten Speisetische mit vielen blitzenden Gläsern stehen mitten auf der Straße. Ein Zahnarzt im weißen Mantel lehnt sich aus einem Fenster im ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses und schaut durch einen altmodischen Klemmer interessiert auf Wera. In seiner träumerischen Mittagsstimmung merkt er nicht, daß der Bohrer in seiner Hand leise weitersurrt. Während wir mühsam unsere langen Spaghetti essen, hören wir seine Patienten wimmern und spucken.
    Wir trinken einen wunderbar milden Rotwein aus Valpolicella. Piesport hoch in Ehren – aber der Name Valpolicella klingt nach einem Sonett von Petrarca. Und sonderbar, der Wein macht mich, trotz des warmen Mittags, nicht müde. Ein altes Männchen, das seinen zerschlissenen Vollbart nicht ohne Würde trägt, tritt an unseren Tisch und offeriert uns einen Spaziergang zu der Tomba di Giulietta, dem für den Fremdenverkehr erfundenen Grabmal der Julia. Wir schweigen und schütteln den Kopf. Er fragt in einem wunderlichen Deutsch:
    »Grabgemal von Julia?«
    Wir schweigen.
    »Inglesi?«
    »Schweigen.«
    »Francesi?«
    Schweigen.
    Das Männchen starrt uns an und scheint auf seiner Vokabelsuche seine Gedanken bereits ins tropische Südamerika zu schicken, als Wera einen Satz auf lettisch sagt. Da schüttelt das Männchen den Kopf und überläßt uns unserm Mittagsmahl, sichtlich betrübt darüber, daß es eine Sprache gibt, für die der Zauberbann der schönsten Liebesgeschichte verloren ist …
    Während des Mailänder Koteletts streifte einiges an Straßenleben unseren Tisch. Ein in Bandagen eingewickelter Mann wurde vorübergetragen, und Kinder hingen an seiner Bahre wie die Fliegen. Zwei fesche Leutnants gingen vorbei und starrten Wera an.
    »Che bella bionda!« hörte ich einen von ihnen sagen.
    Als sie zum fünften Mal den Tisch passierten, hielt ich es nicht mehr für Zufall.
    Von einem familiären Meteoritenschwarm gefolgt, ging, als glanzvollstes

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