Wirbelsturm
so besorgt. Ach, lassen wir das! Gestern abend hat Stabschef General Ghara-Baghi mit Zustimmung der Generäle alle Truppen in die Kasernen zurückbeordert und erklärt, daß die Streitkräfte sich jetzt neutral verhalten. Damit war der Ministerpräsident wehrlos, und die Regierungsgewalt ist Khomeini zugefallen.«
»Neutral?« wiederholte Gavallan ungläubig. »Das ist doch nicht möglich, das ist glatter Selbstmord.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber es ihr wahr. Natürlich werden nur einige Einheiten gehorchen, und die anderen werden kämpfen. Die Polizei und die SAVAK haben sich nicht angeschlossen und wollen nicht aufgeben, obwohl sie früher oder später unterliegen werden. Inscha'Allah, alter Freund. Und das Blut wird die Kanäle füllen, das können Sie mir glauben.«
McIver unterbrach das Schweigen. »Aber … wenn Bachtiar … dann ist es ja vorbei. Es ist vorbei«, wiederholte er aufgeregt. »Der Bürgerkrieg ist vorbei, Gott sei Dank! Die Generäle haben ein echtes Blutbad verhindert – das totale Blutbad. Jetzt wird sich alles wieder normalisieren und die Schwierigkeiten sind vorbei.«
»O nein, mein Bester«, widersprach Talbot ruhig, »die Schwierigkeiten beginnen erst.«
20
Bohrturm Bellissima: 18 Uhr 35. Der Sonnenuntergang war prachtvoll. Tief am Horizont standen rotschimmernde Wolken, darüber spannte sich ein reiner und klarer Himmel. Der Abendstern funkelte. Es war fast Vollmond. Aber hier, in 4.000 Meter Höhe, war es bitter kalt. Im Osten war es bereits dunkel, und es fiel Jean-Luc schwer, die einfliegende 212 auszumachen.
»Sie kommt, Gianni!« rief er schließlich.
Damit war Scot Gavallan zum dritten Mal hin und zurück geflogen. Ölarbeiter, Köche, Hilfsarbeiter, drei Katzen, vier Hunde und ein Kanarienvogel – der Gianni Salubrio gehörte –, alle waren bereits zum Bohrturm Rosa evakuiert worden, alle außer Mario Guineppa, der trotz Jean-Lucs Drängen darauf bestanden hatte, bis zum Schluß zu warten, sowie Gianni und Pietro und zwei weitere Arbeiter, die immer noch damit beschäftigt waren, die Bohranlage abzuschalten.
Jean-Luc beobachtete ständig den Überhang, der sich von Zeit zu Zeit bewegte. Jedesmal liefen ihm dabei kalte Schauer den Rücken hinunter. Als der Helikopter zum ersten Mal zurückgekommen war, hatten wegen des Lärms alle den Atem angehalten, obwohl Pietro ihnen versichert hatte, daß das ein Ammenmärchen sei – nur Dynamit oder Gottes Wille konnten eine Lawine auslösen. Und als wollte der Überhang beweisen, daß Pietro unrecht hatte, bewegte er sich daraufhin wieder, nur ein wenig, aber es genügte, um die Anwesenden zu Tode zu erschrecken.
Pietro legte den letzten Schalter um, und die Turbinen der Dieselgeneratoren wurden allmählich langsamer. Er wischte sich müde das Gesicht ab, hinterließ dabei einen Ölstreifen. Sein Rücken schmerzte und seine Hände zitterten vor Kälte, aber das Bohrloch war versiegelt und soweit wie möglich gesichert. Draußen über dem Abgrund kam der Helikopter vorsichtig näher. »Gehen wir«, forderte er die anderen auf Italienisch auf. »Wir können hier nichts mehr tun – nur das Scheißding dort oben in die Luft sprengen.«
Die anderen bekreuzigten sich erschrocken und stapften Richtung Landeplatz, während Pietro zum Dynamitschuppen ging und die beiden Sprengladungen holte, die er angefertigt hatte: je sechs Dynamitstäbe, dazu eine Dreißig-Sekunden-Zündschnur. Er steckte sie sorgfältig in eine kleine Tragtasche, dazu ein Feuerzeug und zur Sicherheit auch noch Streichhölzer.
»Pietro, he, Pietro!«
»Ich komme ja schon, wir haben jede Menge Zeit.« Draußen erwartete ihn Gianni. Sein Gesicht war weiß und verzerrt. »Was ist los?«
»Guineppa – sieh ihn dir einmal an.«
Mario Guineppa lag auf dem Rücken und atmete rasselnd, seine Augenlider flatterten. Jean-Luc stand neben dem Bett und fühlte ihm den Puls. »Er ist sehr schnell … und dann spüre ich ihn wieder überhaupt nicht«, erklärte er beklommen.
»Mario war vor vier Wochen bei der alljährlichen medizinischen Untersuchung – Kardiogramm, alles. Er war vollkommen in Ordnung.« Pietro spuckte auf den Boden. »Ärzte!«
»Warum mußte er auch unbedingt als Letzter fliegen«, sagte Gianni.
»Er ist der Boß und tut, was er will. Legen wir ihn auf eine Tragbahre und sehen wir zu, daß wir fortkommen.« Pietro war ernst. »Hier können wir nichts für ihn tun. Zum Teufel mit dem Dynamit, wir erledigen es später oder morgen.«
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