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Wirbelsturm

Wirbelsturm

Titel: Wirbelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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Rechtgläubiger mehr, und auch Scharazads Glaube war erschüttert; zum erstenmal in ihrem Leben hegte sie Zweifel, fragte sich, wie Allah so viel Böses und so viele verachtenswerte Handlungen erlauben konnte, die Korrumpierung des ganzen Landes und seines Geistes. »Ich stimme dir zu, Ibrahim, du hast recht. Wir haben uns nicht eines Despoten entledigt, um uns von einem anderen unterdrücken zu lassen. Du hast recht, der Despotismus der Mullahs tritt immer deutlicher hervor. Aber warum verweigert uns Khomeini die Rechte, die billigen Rechte, die der Schah uns gegeben hat?«
    »Es sind eure unveräußerlichen Rechte als menschliche Wesen. Es stand weder dem Schah noch sonst jemandem zu, sie euch einzuräumen.«
    »Aber warum verweigert sie uns der Imam?«
    »Er ist kein Imam, Scharazad, nur ein Ayatollah, ein Mensch – und noch dazu ein Fanatiker. Er tut nur, was Priester seit Anbeginn der Geschichte schon immer getan haben: Er gebraucht seine Version von Religion, um die Menschen zu betäuben, sie in Unbildung verharren zu lassen und abhängig zu machen, um den Mullahs die Macht zu sichern. Besteht er nicht darauf, ausschließlich den Mullahs das Erziehungswesen zu überlassen? Behauptet er nicht, nur die Mullahs verstünden das Gesetz, studierten es, und ihnen allein sei das Wissen gegeben? Als ob sie allein das ganze Wissen gepachtet hätten!«
    »So habe ich die Dinge nie gesehen. Ich habe so vieles als selbstverständlich hingenommen, aber du hast recht, Ibrahim, die Mullahs glauben nur, was im Koran steht – als ob das, was in den Tagen des Propheten, Friede sei mit ihm, richtig war, auch heute noch Geltung hätte! Ich weigere mich einfach, eine Leibeigene zu sein. Ich will nicht auf mein Wahlrecht verzichten.«
    Sie hatten so viele gemeinsame Denkansätze: der an einer Universität ausgebildete Modernist und die das Moderne anstrebende Frau, die sich ihres Weges nie sicher war. Sie teilten Geheimnisse und Sehnsüchte, verstanden sich augenblicklich, achteten auf die gleichen Nuancen und waren dem gleichen Erbe verhaftet. Und er ähnelte im Gehaben und Aussehen so sehr Karim, daß sie hätten Brüder sein können.
    Wonnevoll hatte sie in jener Nacht geschlafen und am nächsten Morgen schon früh das Haus verlassen, um sich mit ihm zu treffen. Sicherheitshalber im Tschador war sie mit ihm in ein kleines Kaffeehaus gegangen, um zu frühstücken. Sie hatten viel zusammen gelacht, grundlos oder aus allen möglichen Gründen, manchmal aber auch über ernste Dinge gesprochen. Und dann fand der zweite Protestmarsch statt, größer und besser als der erste und ohne besonderen Widerstand.
    »Wann mußt du zurück sein, Scharazad?«
    »Ich habe meiner Mutter gesagt, ich würde später kommen. Ich müßte eine Freundin am anderen Ende der Stadt besuchen.«
    »Ich bringe dich jetzt rasch hin, du könntest bald wieder gehen, und wenn du willst, können wir dann weiterreden. Oder noch besser: ein Freund von mir hat eine Wohnung und ein paar wunderbare Kassetten.«
    Das war vor fünf Tagen gewesen. Manchmal war sein Freund auch da, ebenfalls ein Studentenführer der Tudeh, und gelegentlich kamen andere Studenten und Studentinnen; nicht alle waren Kommunisten. Zuweilen blieben sie allein. Herrliche Tage: Sie marschierten und diskutierten und lachten und hörten Musik. Die Nächte verbrachte sie friedlich in ihrem Elternhaus in der Nähe des Basars.
    Und gestern der Sieg! Khomeini hatte öffentlich nachgegeben. Die Frauen, hatte er gesagt, müßten keinen Tschador tragen, vorausgesetzt, sie bedeckten ihr Haar und kleideten sich züchtig. Am Abend hatten sie gefeiert, sie und ihre jungen Freunde, hatten in der kleinen Wohnung vor Freude getanzt, hatten sich umarmt und waren wieder heimgegangen. Aber in dieser Nacht hatte sie viel geträumt – von sich und ihm. Erotische Träume.
    Die getragene, romantische Musik auf der Kassette endete. Er drehte die Kassette um. Die andere Seite war noch besser. Soll ich es wagen? fragte sie sich verträumt. Durch einen Spalt im Vorhang sah sie, daß es dunkelte. »Ich muß bald gehen«, sagte sie, ohne sich zu rühren. Ihre Stimme bebte.
    »Jari kann warten«, flüsterte er zärtlich. Jari, ihre Amme, wußte von diesen heimlichen Zusammenkünften. »Es ist besser, daß niemand es weiß«, hatte er sie am zweiten Tag gewarnt. »Auch Jari nicht.«
    »Sie muß es wissen, Ibrahim, sonst kann ich nie allein ausgehen und dich nie sehen. Ich habe nichts zu verbergen, aber ich bin verheiratet,

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