Wirbelsturm
wieder zurückkommen sollte. Die Zahlung sollte in guten französischen Franc erfolgen, monatlich im voraus auf ein Schweizer Konto, dazu eine Kaution für eventuelle Schäden.
Die Sache war schon vor Weihnachten am Kochen gewesen. Während die anderen alle noch mit Scheuklappen herumspazierten, hatte er vergnügt gegluckst, war ihnen schon um einige Nasenlängen voraus gewesen. Aber natürlich bin ich ihnen gegenüber im Vorteil, sagte er sich: Ich bin Franzose. Auch der neue Mieter war ein Franzose, ein alter Freund an der Botschaft, der schon seit Wochen dringend eine sofort verfügbare, hübsch eingerichtete Absteige für seine im Teenageralter befindliche georgisch-tscherkessische Geliebte suchte. Sie hatte gedroht, ihn zu verlassen, wenn er das Gewünschte nicht bald zur Verfügung stellte: »Jean-Luc, teuerster Freund, vermieten Sie mir die Wohnung auf ein Jahr, sechs Monate, drei Monate – ich versichere Ihnen, bald werden Diplomaten die einzigen Europäer in Teheran sein. Wir wissen, was hier vorgeht – sind doch viele von Khomeinis Gefährten der französischen Sprache mächtig und Absolventen französischer Universitäten! Bitte, ich flehe Sie an, ich muß einfach das Licht meines Lebens zufriedenstellen!«
Zuletzt packte Jean-Luc noch seine Fluginstrumente und ein halbes Dutzend Sonnenbrillen ein. Seine Kleider hatte er in einem versperrten Schrank untergebracht. Die Gesellschaft wird mich natürlich für den Verlust entschädigen, und ich werde mir neue kaufen. Wer braucht noch alte Kleider?
Endlich war er fertig. Er sah auf die Uhr. Er hatte genau 22 Minuten gebraucht. Perfekt! Er nahm eine Flasche La Doucette aus dem Kühlschrank, öffnete sie und kostete den Wein. Perfekt! Drei Minuten später läutete es an der Tür. Perfekt!
»Sayada, chérie , wie schön du bist!« begrüßte er sie herzlich, aber in Wirklichkeit dachte er: Du siehst gar nicht gut aus, müde und erschöpft. »Wie geht es dir, chérie ?«
»Ich war erkältet, nichts Ernstes«, antwortete sie. Am Morgen hatte sie die Sorgenfalten und Augenschatten in ihrem Spiegel gesehen und gleich gewußt, daß Jean-Luc es bemerken würde. »Es ist schon vorbei. Und wie geht es dir, chérie ?«
»Heute geht's mir gut, aber morgen, wer weiß?« Er zuckte mit den Achseln, half ihr aus dem Mantel, nahm sie in die Arme und ließ sich mit ihr auf das Sofa sinken. Sie war sehr schön, und es machte ihn traurig, sie verlassen zu müssen. Sie und den Iran. Wie seinerzeit Algerien, dachte er.
»Woran denkst du, Jean-Luc?«
»An 1963, als wir aus Algerien hinausgeschubst wurden. Nicht viel anders als jetzt aus dem Iran.« Er spürte, wie sie sich in seinen Armen regte. »Was hast du?«
»Die Welt ist manchmal abscheulich.« Sayada hatte ihm nichts von ihrem wahren Leben erzählt. »So unfair«, fügte sie angewidert hinzu, während sie an den Krieg 1967 im Gaza-Streifen zurückdachte, an den Tod ihrer Eltern und ihre Flucht. Dann erinnerte sie sich an Teymours Ermordung und ihren neuen Auftraggeber. Es schauderte sie, als sie sich ausmalte, was diese ihrem Sohn Yassar antun würden, wenn sie etwas falsch machte. Wenn ich nur herausfinden könnte, wer ›sie‹ sind!
Jean-Luc schenkte den Wein ein. »Mach kein so ernstes Gesicht, chérie ! Wir haben nicht viel Zeit. Santé !«
Der Wein war kühl und delikat und schmeckte nach Frühling. »Nicht viel Zeit? Bleibst du nicht da?«
»In einer Stunde muß ich fort.«
»Ins Zagros-Gebirge?«
»Nein, chérie , zum Flughafen und dann nach Kowiss.«
»Wann kommst du zurück?«
»Ich komme nicht zurück«, antwortete er und fühlte, wie sie erstarrte. Aber er hielt sie fest, und schon nach wenigen Sekunden entspannte sie sich wieder. Und weil er nie einen Grund gehabt hatte, ihr nicht vorbehaltlos zu vertrauen, fuhr er fort: »Unter uns: Auch in Kowiss bleibe ich nicht lange. Wir ziehen ab aus dem Iran, die ganze Firma. Es springt ins Auge, daß wir hier unerwünscht sind, wir können nicht mehr ungehindert operieren, die Gesellschaft bekommt kein Geld. Aus dem Zagros-Gebirge hat man uns schon hinausgeworfen – einer unserer Mechaniker wurde vor ein paar Tagen von Terroristen getötet, und es fehlten nur Millimeter, und auch Scot Gavallan wäre ein toter Mann gewesen. Also ziehen wir uns zurück. C'est fini.«
»Wann?«
»Bald. Genau weiß ich es auch nicht.«
»Ich … ich werde dich vermissen, Jean-Luc«, sagte sie und kuschelte sich enger an ihn.
»Auch du wirst mir fehlen«, murmelte er
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