Wirbelsturm
Vergessen oder ins allumfassende Verstehen, allein oder mit anderen, zusammen mit Propheten, Imams, Teufeln, oder?
In ekstatischer Verzückung schloß er die Augen. Bald werde ich wissen, was geschieht, wenn wir sterben, und wohin wir dann gehen. Werden wir schließlich doch noch die Antwort auf das große Rätsel finden: War Mohammed der letzte Prophet Allahs oder ein Wahnsinniger? Ist der Koran die Wahrheit? Gibt es einen Gott?
In dem Gäßchen neben der Moschee blieb der hezbollahi stehen und deutete auf eine elende Behausung. Starke trat über den übelriechenden joub und klopfte. Die Tür ging auf. »Friede sei mit Ihnen, Exzellenz Hussain«, grüßte er auf Persisch. »Sie haben nach mir geschickt?«
»Allah sei mit Ihnen, Captain. Ja, das habe ich«, erwiderte der Mullah auf Englisch und forderte ihn mit einer Geste auf, einzutreten.
Starke mußte sich ducken, um in die aus nur einem Raum bestehende Hütte zu gelangen. Zwei Kleinkinder schliefen unruhig in Strohbetten auf dem Lehmboden. Ein Junge, der ein altes Gewehr umklammerte, starrte Starke an, und dieser erkannte ihn wieder; es war der gleiche Knabe, der auch bei der Auseinandersetzung zwischen den Leuten Hussains und Zatakis dabeigewesen war. Eine gut geölte AK 47 lehnte an der Wand. Neben dem Spülbecken saß auf einem wackligen Stuhl eine nervöse alte Frau in einem schwarzen fleckigen Tschador.
»Das sind meine Söhne, und das ist meine Frau.«
»Salaam.« Starke verbarg sein Erstaunen über das Alter der Frau. Erst bei näherem Hinsehen stellte er fest, daß sie nicht alt an Jahren war.
»Ich habe Sie aus drei Gründen kommen lassen. Erstens: damit Sie sehen können, wie ein Mullah lebt. Armut ist eine der Grundpflichten eines Mullahs.«
»So wie auch Gelehrsamkeit, Führerschaft und Gesetzgebung. Und ich weiß, Agha, daß Sie in Ihrem Glauben 100 Prozent aufrichtig sind«, – und ein Gefangener dieses Glaubens, hätte Starke ihn anschreien mögen. Er verabscheute diesen Raum mit der schrecklichen, nicht enden wollenden Armut und der Hilflosigkeit, die nicht sein mußte, diese Familie aber ihr Leben lang begleiten würde.
»Sie sprachen von drei Gründen, Agha?«
»Der zweite ist: Wie kommt es, daß bis auf einige wenige alle Männer heute planmäßig ausfliegen sollen?«
»Sie haben längst fällige Urlaubsansprüche, Agha, und weil es auf dem Stützpunkt nicht viel Arbeit gibt, ist das jetzt ein idealer Zeitpunkt.« Starkes Besorgnis nahm zu. Schon bevor Mullah Hussain ihn hierher zitiert hatte, waren heute morgen drei Fernschreiben und zwei Anrufe über Funk aus der Zentrale in Teheran gekommen – der letzte von Siamaki, dem jetzt ranghöchsten Direktor von IHC, der wissen wollte, wo Pettikin, Nogger Lane und die anderen steckten. Er hatte ihn mit dem Versprechen abgewimmelt, daß McIver ihn sofort zurückrufen werde, sobald er mit Minister Kia eingetroffen sei.
Gestern hatte er zum erstenmal von Ali Kias Besuch gehört. Bei einem kurzen Aufenthalt vor dem Weiterflug nach Al Schargas hatte Charlie Pettikin ihm erzählt, wozu McIver verdonnert worden war. »Du lieber Himmel …« Mehr hatte er nicht sagen können.
Aber so schlecht waren die Dinge gestern auch nicht gelaufen. John Hogg hatte Gavallans provisorischen Plan für die Operation ›Wirbelsturm‹ mit allen Codes, Zeitangaben und Koordinaten für die Auftankalternativen jenseits des Golfs mitgebracht. »Andy hat mir aufgetragen, dir mitzuteilen, daß diese Daten auch an Scrag in Lengeh und Rudi in Bandar-e Delam weitergegeben wurden, und daß du dir die Probleme aller drei Stützpunkte vor Augen halten sollst. Zwei Boeing-747-Transportjumbos sind für Freitag bei Tagesanbruch nach Al Schargas beordert. Wir haben reichlich Zeit, sagt Andy. Ich werde den letzten Stand wissen, wenn ich die Jungs holen komme. Der letzte Knopf darf nicht vor 7 Uhr früh freitags beziehungsweise samstags oder sonntags gedrückt werden.«
Da sich keiner von des Klugscheißers Esvandiari Spitzeln hatte sehen lassen, war es Starke gelungen, noch eine Kiste mit besonders wertvoller Flugelektronik für die 212 an Bord der 125 zu quetschen. Ihre persönlichen Ausreisegenehmigungen waren immer noch gültig, und genügend große Fässer mit Treibstoff lagen an der Küste heimlich auf Lager. Tom Lochart war pünktlich aus dem Zagros-Gebirge gekommen. »Du hast es dir anders überlegt, Tom? Ich dachte, du wolltest auf keinen Fall mitmachen?« Aber sein Freund hatte nur mit den Achseln gezuckt, und
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