Wissen auf einen Blick - Philosophen
des Raumes vorstellen. Zudem haben wir den unwiderstehlichen Drang, zwischen lediglich zeitlich aufeinander folgenden Ereignissen ursächliche Zusammenhänge herzustellen. Es ist eine ganz und gar menschliche Regung, in der Bewegung des Siegels die Ursache für den Abdruck im Wachs zu sehen, auch wenn sich in unserer Wahrnehmung dafür keine direkten Anhaltspunkte finden. Wir dürfen daher nicht hoffen, unsere Erkenntnis sei ein unverfälschtes Abbild einer wie auch immer gearteten „Wirklichkeit“. Den Bezug zu Kopernikus stellte Kant in seiner kritischen Erkenntnistheorie übrigens höchstpersönlich her: „Es ist hiermit ebenso wie mit den ersten Gedanken des Copernicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegung nicht gut fortgehen wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und die Sterne in Ruhe ließe.“
Darstellung des Kopernikanischen Systems in Andreas Cellarius’ (um 1596–1665) „Harmonia Macrocosmica“ (1660), einem der bis heute bedeutendsten Werke der Astronomie. Die Karte zeigt den Erdenlauf um die Sonne und dessen Einfluss auf Tages- und Jahreszeiten
.
(c) Interfoto, München
Utopia: Ein Ort, der keiner ist
Thomas Morus (1478–1535)
„Utopisch“ nennen wir umgangssprachlich einen Wunsch, eine Forderung oder Vorstellung, deren Erfüllung zwar denkbar ist, jedoch in weiter Ferne liegt oder sogar ganz unmöglich erscheint, wie etwa die einer Welt ohne Armut, Krankheit oder Unrecht. Politische und gesellschaftliche Utopien gibt es schon seit der Antike. Der Philosoph Thomas Morus jedoch war der erste, der seine Zukunftsvision „Utopie“ nannte und damit Wort und Begriff prägte.
Was wäre, wenn?
Mit vollem Titel heißt das ursprünglich in lateinischer Sprache abgefasste Hauptwerk Thomas Morus’ „Von der besten Staatsverfassung und von der neuen Insel Utopia“ (1516). Der Name der Insel leitet sich aus dem Griechischen ab und bezeichnet einen Ort, den es nicht gibt (aus griech.
ou
, nicht, und
topos
, Ort). Ausgehend von seiner Kritik am Werteverfall seiner Zeit beschreibt Morus diesen Nicht-Ort als friedliche und weitgehend sorglose Gesellschaft. Weil Morus das Privateigentum und den Kampf um den eigenen Besitz für die Quelle aller Verbrechen hält, sind seine „Utopier“ eigentumslos; alle Güter gehören dem Staat. Die Insulaner haben das Streben nach Besitz überwunden und leben im Einklang miteinander und mit der Natur. Die Erziehung der Jugend obliegt Priestern. Zu den zentralen Dogmen des utopischen Lehrplans gehören der Glaube an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele; ansonsten herrscht religiöse Toleranz. Dieser ideale Staat ähnelt in vielem dem von Philosophenkönigen regierten Gemeinwesen, das Platon (427–347 v. Chr.) in seinem Dialog „Politeia“ umreißt und auf das Morus sich ausdrücklich bezieht. Die „Politeia“ gilt als das Urbild aller philosophischen Utopien.
Bekannte Utopien
Wie viele phantastische Orte, darunter das sagenumwobene Atlantis und das nebelverhüllte Avalon der Artussage, ist die Insel Utopia durch das sie umgebende Wasser vom Rest der Welt deutlich abgetrennt. Das offene Meer ist ein magischer Bezirk und zeigt an, dass die legendären Inseln nicht von dieser Welt sind. Nur das Neue Jerusalem aus der biblischen Offenbarung des Johannes, vielleicht die ultimative Utopie von einer neuen Welt nach dem Sieg Gottes im apokalyptischen Kampf mit dem Bösen, liegt nicht auf hoher See, sondern kommt „aus dem Himmel herab“.
Dystopie
Der Gegenbegriff zur meist positiv besetzten Utopie ist die Dystopie (zu griech. dys, schlecht, und topos, Ort). Eine Dystopie ist ein gesellschaftliches Schreckensbild und übt als solches Kritik an gegenwärtigen politischen Zuständen oder Entwicklungen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört der Überwachungsstaat, den George Orwell (1903–1950) in seinem 1949 erschienenen Roman „1984“ beschreibt
.
Streit mit dem König
Morus entwarf seine Vorstellung der Insel Utopia als Gegenentwurf zu seiner Gegenwart, die von sozialer Ungleichheit, Kriminalität und Abkehr vom Christentum geprägt war. Mitverantwortlich für die desolate Situation im damaligen England war sein Herrscher Heinrich VIII. (1491–1547). Weil Thomas Morus die Religion für eine der Säulen der Gesellschaft hielt, sprach er sich gegen die nochmalige Heirat des geschiedenen englischen Königs und gegen
Weitere Kostenlose Bücher