Witch & Wizard 1 - Verlorene Welt (German Edition)
die Haut auf. Es brannte wie weiß glühendes Feuer. Blut floss über meine Wange. Ich stöhnte vor Schmerz.
»Dies ist dein erster voller Tag in der Klinik, Zauberer«, sagte der Besucher. »Deshalb lasse ich es ausnahmsweise sachte angehen. Doch wenn du dich gegenüber der Oberin oder mir noch einmal dermaßen im Ton vergreifst … denk dran: Wir sind die Einzigen, die zwischen dir und einem viel schlimmeren Schicksal als dem Tod stehen.«
»Aha. Schlimmer als mitten in der Nacht entführt und verhaftet, bei einem albernen Prozess zum Tode verurteilt und mit zwei Sadisten in eine verwunschene Klinik gesperrt zu werden? Schlimmer geht’s nicht mehr.«
»Bist du jetzt fertig?«, fragte der Besucher ruhig.
Ich zuckte mit den Schultern. Als ich mir gerade überlegte, was ich darauf erwidern sollte, züngelte die Peitsche aus dem Nichts über mein linkes Ohr, über mein rechtes Ohr und schließlich über die Spitze meines Kinns.
»Oh doch, es geht noch viel schlimmer«, meinte der Besucher. »Aber deiner Akte war ja schon zu entnehmen, dass du nicht gerade die hellste Birne im Kronleuchter bist. Doch eines solltest du schleunigst begreifen: Das hier …« Mit einem Seufzen blickte er sich in der feuchten, schmierigen Zelle um. »… ist euer neues Zuhause. Wir verfügen über bewaffnete Wachen, über Überwachungskameras, Elektrozäune und zahlreiche tödliche Sicherheitsvorkehrungen, über die ich leider keine Auskunft erteilen darf. Und falls ihr denkt, ihr könntet unsere Systeme mit unlauteren Mitteln umgehen – vergesst es. Das gesamte Gebäude wurde in einer Weise modifiziert, die eure Energien schwächt, sodass ihr hier keine besonderen Kräfte habt. Kurz gesagt: Kaum hattet ihr dieses Gebäude betreten, wart ihr richtiggehend normal !«
Wisty und ich wechselten einen vielsagenden Blick: Bis auf das mit dem Leuchten, was? Manchmal kam es mir vor, als könnten wir gegenseitig unsere Gedanken lesen.
»Was die Ausstattung eurer Unterkunft anbelangt, möchte ich euch auf das einzige Außenfenster aufmerksam machen, das einen Blick nach Westen bietet, genauer gesagt in das schwarze Loch eines zehn Stockwerke tiefen Luftschachts, an dessen Grund eine Turbine arbeitet, die einen Blauwal in unter zehn Sekunden zu Brei verarbeiten könnte. Wenn euch danach ist, könnt ihr euch jederzeit in diesen Schacht stürzen«, sagte der Besucher wie ein Portier, der die Vorzüge einer Luxussuite beschrieb. »Darüber hinaus steht euch ein halbprivates Badezimmer zur Verfügung, in dem ihr unser einzigartiges Toilettenpapier findet, das so luftig leicht ist, dass man fast meinen könnte, es wäre gar nicht vorhanden.«
Ich warf einen Blick in die offene Waschnische. Halb verborgen unter Staub und Putzbrocken von der Decke entdeckte ich eine Toilette ohne Klobrille und – der Typ hatte leider recht – ohne Klopapier .
Über seine lange Hakennase hinweg stierte der Besucher auf uns herab. »Ich werde von Zeit zu Zeit vorbeischauen«, sagte er mit seiner tiefen Zombiestimme. »Und sollte euer Benehmen irgendeinen Grund zur Beanstandung liefern …« Er verstummte und verzog die Lippen wie ein grinsendes Krokodil. »… werde ich euch bestrafen.«
Ssssst , zerteilte die Reitpeitsche die Luft und verfehlte mein Auge nur um Wimpernbreite.
»Wir sehen uns bald wieder«, sagte er. »Versprochen.«
Damit verschwand er und sperrte von außen ab.
»Also ich finde ihn jetzt nicht sooo nett«, meinte Wisty. »Und du?«
W HIT
Später fasste meine Schwester unsere Lage mit Wisty-typischer Präzision und Direktheit zusammen.
»Alles scheiße«, sagte sie.
Ich dachte über ihre Worte nach. Mit unseren zerfetzten Klamotten und diversen blauen Flecken, Beulen, Schnittwunden und Schwielen sahen wir aus, als hätten wir einen Käfigkampf mit einem Vielfraß ausgetragen.
Außerdem hab ich nur noch einen knappen Monat zu leben.
»Nein«, erwiderte ich. »Es ist noch viel schlimmer. Warum musst du immer alles so positiv sehen?«
Ich schlurfte durchs Zimmer, um mich irgendwie von meinen höllisch schmerzenden Verletzungen abzulenken. Doch ich brachte keinen klaren Gedanken zustande – abgesehen von Vorstellungen, mit denen ich mich nur selber folterte: saftige Burger, Schoko-Vanille-Milchshakes … und mit Käse überbackene Pommes. Ich war hungrig wie noch nie.
Da fiel mir auf, dass sich Wistys Lippen lautlos bewegten, während sie auf der Matratze hockte.
»Du führst Selbstgespräche?«, fragte ich. »Jetzt schon?«
»Warum
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