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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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entschuldigst dich wohl nie, was?« fragte Ruth.
    »Okay, tut mir leid«, sagte Hannah. »Wird es dadurch besser?«
    »Es war ein Zufall, es war nicht geplant«, erklärte Ted seiner Tochter.
    »Das muß ja was ganz Neues für dich gewesen sein, Daddy«, meinte Ruth.
    »Wir sind uns in der Stadt über den Weg gelaufen«, begann Hannah. »Ich habe ihn an der Ecke 5th Avenue und 59th stehen sehen, vor dem Plaza. Er hat drauf gewartet, daß die Ampel grün wird.«
    »Verschon mich mit Einzelheiten«, sagte Ruth.
    »Du tust immer so überlegen!« schrie Hannah. Dann begann sie zu husten. »Ich muß raus aus diesem Scheißpool, bevor ich ertrinke!«
    »Aus meinem Haus kannst du auch gleich verschwinden«, sagte Ruth. »Hol deine Sachen und verschwinde.«
    In Ted Coles Pool gab es keine Leiter. Leitern verletzten sein ästhetisches Empfinden. Hannah mußte ans flache Ende schwimmen und an Ruth vorbei die Stufen hinaufgehen.
    »Seit wann ist es dein Haus«, fragte Hannah. »Ich dachte, es gehört deinem Vater.«
    »Nicht, Hannah …«, wiederholte Ted.
    »Ich möchte, daß du ebenfalls verschwindest, Daddy«, sagte Ruth zu ihrem Vater. »Ich möchte allein sein. Ich bin heimgekommen, um mit dir zusammenzusein. Und mit meiner besten Freundin«, fügte sie hinzu. »Aber jetzt möchte ich, daß ihr beide verschwindet.«
    »Ich bin noch immer deine beste Freundin, Herrgott noch mal«, sagte Hannah. Sie wickelte sich in ein Handtuch – diese dürre, kleine Ratte, dachte Ruth.
    »Und ich bin noch immer dein Vater, Ruthie. Nichts hat sich geändert«, sagte Ted.
    »Geändert hat sich, daß ich euch nicht mehr sehen will. Ich will mit keinem von euch unter einem Dach schlafen«, sagte Ruth.
    »Ruthie, Ruthie …«, sagte ihr Vater.
    »Ich hab’s dir ja gesagt, sie ist eine verdammte Prinzessin, eine Primadonna«, sagte Hannah zu Ted. »Erst hast du sie verwöhnt, jetzt wird sie von der ganzen Welt verwöhnt.« Sie hatten also über sie gesprochen.
    »Nicht, Hannah …«, sagte Ruths Vater noch einmal, aber Hannah ging schon ins Haus und knallte die Fliegengittertür zu. Ted trat weiterhin Wasser am tiefen Ende des Pools; er konnte den ganzen Tag Wasser treten.
    »Ich wollte so viel mit dir bereden, Daddy«, sagte Ruth.
    »Wir können noch immer reden, Ruthie. Nichts hat sich geändert«, wiederholte er.
    Ruth hatte ihren Wein ausgetrunken. Sie betrachtete das leere Glas; dann zielte sie damit auf den auf und ab hüpfenden Kopf ihres Vaters. Sie verfehlte ihn um ein gutes Stück. Das Weinglas schlug auf die Wasseroberfläche auf und sank, unbeschadet und tänzelnd wie ein Ballettschuh, auf den Grund.
    »Ich will allein sein«, sagte Ruth noch einmal. »Du wolltest Hannah ficken, jetzt kannst du auch mit ihr verschwinden. Geh schon, geh doch mit Hannah!«
    »Es tut mir leid, Ruthie«, sagte Ted, aber Ruth ging bereits ins Haus und überließ ihn, wassertretend, sich selbst.
    Ruth stand in der Küche. Ihre Knie zitterten, als sie den Reis wusch und ihn in einem Sieb abtropfen ließ. Dabei wußte sie, daß ihr der Appetit vergangen war. Sie war erleichtert, daß weder ihr Vater noch Hannah versuchten, noch einmal mit ihr zu reden.
    Ruth hörte Hannahs hohe Absätze in der Diele; sie konnte sich vorstellen, wie perfekt diese lachsroten Schuhe an einer aufreizenden Blondine aussahen. Dann hörte sie den Volvo; seine breiten Reifen knirschten auf dem Kies in der Einfahrt. (Im Sommer 1958 war die Zufahrt zum Coleschen Haus in Sagaponack noch aus gestampfter Erde gewesen, aber Eduardo hatte Ted dazu überredet, sie mit grobem Kies bestreuen zu lassen. Auf diese Idee hatte ihn die berüchtigte Kieszufahrt zu Mrs. Vaughns Anwesen gebracht.)
    Ruth stand in der Küche und hörte den Volvo auf der Parsonage Lane nach Westen davonfahren. Vielleicht brachte ihr Vater Hannah nach New York zurück. Vielleicht übernachteten sie dort in Hannahs Apartment. Eigentlich müßte ihnen die Angelegenheit zu peinlich sein, als daß sie noch eine Nacht miteinander verbringen, dachte Ruth. Aber obwohl ihr Vater zerknirscht sein konnte, peinlich war ihm nie etwas. Und Hannah tat es nicht einmal leid! Wahrscheinlich stiegen sie im American Hotel in Sag Harbor ab. Und später würden sie wahrscheinlich anrufen, alle beide, aber zu unterschiedlichen Zeiten. Da fiel Ruth wieder ein, daß der Anrufbeantworter ihres Vaters abgeschaltet war; sie beschloß, nicht ans Telefon zu gehen.
    Doch als es eine knappe Stunde später klingelte, dachte sie, es könnte Allan

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