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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zerpflücken! Sieh zu, daß du darüber hinwegkommst! sagte sich Ruth. Sie hatten sie beide hintergangen – na und?
    Als sie aus der Badewanne stieg, zwang sie sich, in den Spiegel zu sehen. Ihr rechtes Auge sah grauenhaft aus. Eine phantastische Voraussetzung für eine Promotion-Tour! Es war dick zugeschwollen, auch um den Wangenknochen war alles geschwollen, aber noch auffälliger war die kräftige Verfärbung der Haut. Eine Fläche von der Größe einer Faust leuchtete dunkelviolett, wie ein Sonnenuntergang vor einem Unwetter, wenn die lebhaften Farben einen Stich ins Schwarze bekommen. Der Bluterguß war so abscheulich, daß er schon fast komisch aussah. Er würde sie auf ihrer ganzen zehntägigen Promotion-Tour durch Deutschland begleiten; die Schwellung würde abklingen, und der blaue Fleck würde über kurz oder lang zu einem fahlen Gelb verblassen, aber auch in der anschließenden Woche in Amsterdam würde die Verletzung vermutlich noch zu sehen sein.
    Ruth hatte bewußt keine Squashkleidung eingepackt, nicht einmal ihre Schuhe. Sie hatte ihre Schläger absichtlich in der Scheune gelassen. Es war ein guter Zeitpunkt, um das Squashspielen aufzugeben. Ihre Verleger in Deutschland und Holland hatten Matches für sie arrangiert; sie mußten sie eben absagen. Sie hatte eine plausible (sogar deutlich sichtbare) Ausrede. Sie konnte behaupten, ihr Wangenknochen sei gebrochen und der Arzt habe ihr geraten, ihn in Ruhe heilen zu lassen. (Scott Saunders hätte ihr ohne weiteres den Wangenknochen brechen können.)
    Ihr blaues Auge sah nicht nach einer Squashverletzung aus; hätte der Schläger ihres Gegners sie so hart getroffen, wäre die Folge eine Platzwunde gewesen, die hätte genäht werden müssen. Ruths Geschichte mußte lauten, daß ihr Gegner sie mit dem Ellbogen erwischt hatte. Das aber konnte nur passieren, wenn Ruth dicht bei ihm gestanden und ihn von hinten bedrängt hatte. Unter diesen Umständen mußte ihr imaginärer Gegner Linkshänder gewesen sein, sonst hätte er nicht ihr rechtes Auge getroffen. (Als Romanautorin wußte sie, daß vor allem die Einzelheiten stimmen mußten, wenn man eine glaubwürdige Geschichte erzählen wollte.)
    Sie konnte sich die Interviews, die ihr bevorstanden, durchaus amüsant vorstellen: »Ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit Linkshändern.« Oder: »Bei Linkshändern passieren immer Sachen, mit denen man nicht rechnet.« (Zum Beispiel ficken sie einen von hinten, nachdem man ihnen gesagt hat, daß man das nicht mag, und schlagen hart zu, wenn man ihnen sagt, daß es Zeit ist zu gehen – oder sie ficken deine beste Freundin.)
    Ruth war mit dem Verhalten von Linkshändern hinreichend vertraut, um sich eine ziemlich gute Geschichte auszudenken.
    Sie fuhren im dichten Verkehr auf dem Southern State Parkway und waren nicht mehr weit von der Ausfahrt zum Flughafen entfernt, als Ruth merkte, daß der Sieg über ihren Vater sie nicht befriedigte. Wann immer sie zusammen längere Strecken fuhren, saß seit mindestens fünfzehn Jahren sie am Steuer. Heute jedoch nicht. Als ihr Vater ihre drei Gepäckstücke im Kofferraum verstaut hatte, sagte er zu ihr: »Laß lieber mich fahren, Ruthie. Ich kann mit beiden Augen sehen.«
    Ruth hatte nicht widersprochen. Wenn ihr Vater fuhr, konnte sie sagen, was sie wollte, und er durfte sie nicht ansehen.
    Ruth fing damit an, wie sympathisch sie Eddie O’Hare gefunden hatte. Dann erklärte sie ihm, daß ihre Mutter mit dem Gedanken gespielt habe, ihn zu verlassen, schon bevor die beiden Jungen ums Leben gekommen seien, und daß nicht etwa Eddie sie auf diese Idee gebracht habe. Anschließend eröffnete sie ihm, daß sie wußte, daß er Marions Affäre mit Eddie geplant hatte. Er hatte die Sache eingefädelt, weil ihm klar gewesen war, wie anfällig Marion für einen jungen Mann sein würde, der sie an Thomas und Timothy erinnerte. Und noch selbstverständlicher durfte er davon ausgehen, daß Eddie sich hoffnungslos in Marion verlieben würde.
    »Ruthie, Ruthie …«, setzte ihr Vater an.
    »Schau auf die Straße und in den Rückspiegel«, ermahnte sie ihn. »Solltest du nur daran denken, mich anzusehen, dann fahr lieber rechts ran und laß mich ans Steuer.«
    »Deine Mutter war schwer depressiv, und das wußte sie auch«, sagte Ted. »Sie wußte, daß sie einen furchtbar schlechten Einfluß auf dich haben würde. Es ist schrecklich für ein Kind, wenn Mutter oder Vater ständig deprimiert sind.«
    Das Gespräch mit Eddie hatte Ruth sehr viel

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