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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Klapptischchen in dem Flugzeug gebeugt, das sie nach Hause zurückbrachte, schrieb sie einen Brief.
    12. Juli 1979 Mein Philip,
    ich weiß, dass du mir sehr böse sein musst, weil ich nicht zu deiner Hochzeit erschienen bin. Diesmal gibt es weder Entschuldigung noch
    Vorwand, das schwöre ich dir. Ich habe alles getan, um zu kommen, aber im letzten Augenblick hat mir ein Unwetter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich war während der ganzen Zeremonie in Gedanken bei dir. Du musst umwerfend gewesen sein in deinem Smoking, und ich bin sicher, dass auch deine Frau strahlend schön war. Wer wäre es nicht, wenn er dich heiratet? Mit geschlossenen Augen bin ich dir Schritt für Schritt durch dieses traumhafte Ereignis gefolgt. Ich weiß, du wirst glücklich sein, und irgendwie tut mir dieses Glück auch gut.
    Ich habe beschlossen, den Posten anzunehmen, den man mir angeboten hat. Ich breche am Freitag auf um in den Bergen ein neues Zentrum einzurichten. Nimm es mir nicht übel, wenn ich in den nächsten Monaten nicht schreibe, aber ich lebe fortan zwei Tagesreisen von dem, was man kaum Zivilisation nennen kann, entfernt, und einen Brief aufzugeben ist ebenso unmöglich, wie einen in Empfang zu nehmen. Aber weißt du, ich freue mich auf diese neue Herausforderung. Ich nehme die Sehnsucht nach den Leuten meines Dorfes mit, nach dem Haus, das Juan mir gebaut hat, und den Erinnerungen, die es birgt. Ich werde wieder bei null anfangen müssen, aber das Vertrauen, das sie mir schenken, ist reicher Lohn.
    Ein glückliches Leben wünsche ich dir, mein Philip, und trotz meiner Abwesenheit und trotz all meiner Unzulänglichkeiten liebe ich dich seit je und für immer,
    Susan
    PS: Vergiss nicht, was ich dir am Flughafen gesagt habe.
    Kapitel 6
    Der Regen rieselte über die Holzschindeln. Unter der Dachschräge, im Schein von nur einer Lampe, korrigierte er seine letzten Entwürfe. Wie jeden Samstag arbeitete er auf, was während der Woche liegen geblieben war. Er hatte sein Büro im Adirondacks-Stil eingerichtet. Über die ganze rechte Wand zog sich ein Bücherregal. Links luden zwei alte Ledersessel - um einen kleinen runden Tisch aus Birkenholz und eine gusseiserne Stehlampe gruppiert - zum behaglichen Sitzen ein. Sein Schreibtisch, der in der Mitte des Raums unter dem Oberlicht stand, hatte die Form eines großen weißen Kubus. Sechs Personen hatten bequem daran Platz. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf zur Dachluke, deren Fensterscheibe unter den Windstößen vibrierte.
    Bevor er sich wieder in seine Zeichnungen vertiefte, warf er einen Blick auf Susans Foto im Regal. Unendlich viel Zeit schien seit dem Tag seiner Hochzeit verstrichen zu sein. Auf dem Tisch stand die kleine alte Schatulle, die all ihre Briefe enthielt. Sie war mit einem Schloss versehen, doch der Schlüssel lag immer auf dem Deckel. Wie viele Jahre hatten sie nichts mehr voneinander gehört? Sieben, acht, neun vielleicht? In der Ecke des Raums führte eine schmale Treppe hinunter in den ersten Stock mit den Schlafzimmern. Die weiße Holztreppe gegenüber der Eingangstür unterteilte das Erdgeschoss in zwei Lebensbereiche. Mary hatte den ganzen Nachmittag am großen Esstisch ihrer Küche verbracht, hatte in einem Magazin geblättert und ihre Gedanken schweifen lassen. Durch die offene Schiebetür sah sie Thomas, ihren fünfjährigen Sohn, der in ein Computerspiel vertieft war. Sie wandte den Blick ab und schaute auf die runde Wanduhr über dem Gasherd. Es war achtzehn Uhr. Sie legte das Magazin beiseite, stand auf und machte sich daran, das Essen zuzubereiten. Philip würde, wie jeden Abend, in einer halben Stunde aus seinem Arbeitszimmer kommen und ihr beim Tischdecken helfen. Nachdem sie ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, setzten sich ihre beiden »Männer« an ihre gewohnten Plätze. Thomas war von den dreien der gesprächigste und kommentierte ausgiebig seine letzte Partie gegen die Außerirdischen, die den Planeten einzunehmen drohten.
    Nach dem Essen unternahm Philip den x-ten Versuch, seinem Sohn das Schachspielen beizubringen, doch Thomas wollte nicht einsehen, dass sich der Läufer nur diagonal bewegt. Und war nicht das einzig »Lustige«, mit allen Bauern gleichzeitig vorzurücken, um die Türme der Festung anzugreifen? Der Versuch endete mit einer Partie schwarzer Peter. Später, wenn der Kleine im Bett wäre und seine allabendliche Geschichte erzählt bekommen hätte, käme Philip erneut herunter, um seiner Frau eine

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