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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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den Schwierigkeiten der Fischindustrie, von der auf die eine oder andere Weise jeder in der Stadt abhängig war, vom aufregenden Mordprozeß im letzten Jahr und von der Inkompetenz der Stadtverwaltung in Sachen Schneebeseitigung. Allmählich fühlte ich mich in der Stadt wie zu Hause. Meine Anwesenheit dort wurde für mich mit jedem Tag selbstverständlicher, und mein wirkliches Leben in England rückte mehr und mehr in die Ferne und schien schließlich nur ein Traum zu sein.

    An meinem sechzehnten Tag in Hammerfest geschah es. Ich befand mich auf dem Rückweg von meinem allmorgendlichen Spaziergang zur Landspitze, als ich in einem leeren Stück Himmel über der Stadt eine transparente Wolke sah. Sie schillerte in den verschiedensten Farben, in Rosa-, in Grün-und Blautönen und in blassem Violett, und breitete sich langsam über den Himmel aus. Sie wirkte seltsam ölig, wie die Regenbögen, die man manchmal in Benzinlachen sieht. Ich stand da wie angewurzelt.
    Aus Büchern wußte ich, daß das Nordlicht in der hohen Atmosphäre, in etwa 350 Kilometern Höhe auftritt, aber dieses Naturschauspiel schien sich direkt über der Stadt zu ereignen. Es gibt zwei Arten von Nordlicht – die Vorhänge aus schimmernden Spinnfäden, die wir alle von Bildern kennen, und die weitaus selteneren Gaswolken, die ich nun anstarrte. Keine Wolke sieht aus wie die andere. Manchmal schießen sie mit atemberaubender Geschwindigkeit geisterhaft über den Himmel, wie Rauch durch einen Windkanal, und manchmal hängen sie wie leuchtende Gardinen oder glitzernde Lichtspeere am Firmament, und sehr selten – vielleicht ein-oder zweimal in hundert Jahren – geschieht es, daß sie aus allen Himmelsrichtungen über den Horizont gekrochen kommen, um ineinanderzufließen und sich zu einer lautlosen Explosion aus Licht und Farbe zu vereinen. In der raumlosen Schwärze einer Landschaft, die hundert Kilometer von der nächsten künstlichen Lichtquelle entfernt liegt, können diese Lichterscheinungen die erstaunlichsten, ja unheimlichsten optischen Täuschungen hervorrufen. Sie scheinen direkt aus dem Himmel zu fahren und mit bedrohlicher Geschwindigkeit auf einen zuzusteuern, als wollten sie einem an den Kragen. Es muß beängstigend sein. Viele Samen sind bis heute fest davon überzeugt, daß das Licht jeden holen kommt, der ihm ein weißes Taschentuch oder ein weißes Blatt Papier entgegenhält.
    Dieses Schauspiel war relativ unscheinbar und dauerte nur ein paar Minuten, und dennoch hatte ich nie etwas Schöneres gesehen.
    Doch schon am Abend sollte ich Zeuge einer noch glanzvolleren Darbietung des Nordlichts werden. Sie dauerte Stunden und bestand aus nur einer Farbe, diesem unheimlich leuchtenden Grün, das man auf Radarschirmen sieht, das Licht war dafür aber um so aktiver. Schmale Wirbel jagten über die gigantische Himmelskuppel und hingen dann im Raum wie Schweife aus Dunst. Manchmal huschten die Lichter über den Himmel wie Sternschnuppen, manchmal kräuselten sie sich träge und erinnerten mich an den Rauch, der gemächlich aus der Pfeife meines Vaters stieg, wenn er las. Oder das Licht flackerte hell im Westen, war plötzlich verschwunden und leuchtete im nächsten Augenblick hinter mir wieder auf, als wollte es mich an der Nase herumführen. Ständig drehte und wendete ich mich, um es zu sehen. Wer nicht selbst einmal versucht hat, den ganzen Himmel im Auge zu behalten, kann sich gar nicht vorstellen, wie immens groß er ist. Und das Unheimlichste daran war die Stille. Man möchte meinen, daß bei einem so regen Treiben zumindest ein gelegentliches Rauschen oder so etwas wie ein atmosphärisches Knistern zu hören ist, aber alles war still. All diese Energie verpuffte ohne einen Laut. Mir war sehr kalt. Ich trug drei Paar Socken in meinen Stiefeln, und doch waren meine Zehen taub. Trotz möglicher Frostbeulen harrte ich zwei Stunden in der Kälte aus und beobachtete den Himmel, unfähig, mich von dem Anblick loszureißen.
    Am nächsten Tag ging ich ins Touristen-Informationsbüro. Ich wollte Hans, dem Direktor des Büros, mit dem ich mich inzwischen angefreundet hatte, meine Neuigkeiten berichten und mir für die nächste Woche einen Platz im Bus reservieren lassen, denn nun gab es keinen Grund mehr, noch länger hier herumzuhängen. Hans sah mich überrascht an und sagte: »Weißt du das gar nicht? Nächste Woche fährt kein Bus. Er muß zur Inspektion nach Alta.«
    Ich war am Boden zerstört. Noch zwei Wochen in Hammerfest. Was sollte

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