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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Leute eine andere Sprache sprechen, anderes Essen essen, zu anderen Zeiten arbeiten, ein Leben leben, das so anders und auf seltsame Weise doch so ähnlich ist. Ich wollte ein Tourist sein.
    Aber vorher wollte ich nach Hause. 

    Paris

    Ich kehrte nach England zurück und wartete, daß der Winter verging. Ich verbrachte lächerlich viel Zeit mit Einkäufen für die Reise – ich erstand einen Reisewecker, ein Schweizer Armeemesser und einen Rucksack in grellem Grün und Gelb, von dem meine Frau behauptete, er sei genau das richtige für den Fall, daß ich einmal auf einem Campingplatz für Schwule landen sollte – und stöberte einen ganzen Tag lang auf dem Dachboden herum, auf der Suche nach meinen geliebten Kümmerlyund-Frey-Karten. 1972 hatte ich fast die gesamte Europaausgabe gekauft, eine der wenigen intelligenten Investitionen meiner jungen Jahre. Was sage ich da? Es war die intelligente Investition meiner jungen Jahre. Sie wurden in der Schweiz hergestellt, mit all der Präzision, die dazugehört, und mit dem entsprechenden Kostenaufwand. In jeder der flotten blaugelben Kümmerly-und-Frey-Mappen steckten die Landkarten von jeweils ein oder zwei Ländern. Ausgebreitet waren sie riesengroß und wunderschön gedruckt auf Qualitätspapier. Aber das Beste an ihnen war, daß sie nur in Deutsch und Französisch herausgegeben wurden, was den Karten einen Hauch von Exotik verlieh, der mir heute noch ebenso imponiert wie 1972. Ein Reisender, der Karten mit Titeln wie »Bulgarien l: l Mio.« oder »Schwarzwald l: 250000«
    bei sich trägt, strahlt entschieden mehr Weltgewandtheit aus und wird gleich viel ernster genommen. Die Karten signalisieren der Welt, daß niemand ihrem Besitzer etwas vormachen kann.
    Abend für Abend saß ich vor einem Stapel K&Fs und dem neuesten Thomas Cook European Timetable und versuchte, eine Reiseroute zusammenzustellen, die sowohl umfassend als auch realisierbar war, und das war gar nicht leicht. Europa zu systematisieren, ist ausgesprochen schwierig. Man kann nicht von Küste zu Küste fahren. Es gibt nur wenige geographische Merkmale, die sich als natürliche Ausgangs-und Endpunkte einer Reise anbieten, und die, die sich dafür eignen – die Alpen, der Rhein, die Donau –, würden mich entweder körperlich überfordern, oder ich hatte sie schon mehr als einmal gesehen. Vor allem aber ist Europa einfach zu groß und randvoll mit Sehenswürdigkeiten. Es gibt praktisch keinen Ort, den es sich nicht zu besuchen lohnt. Es lief darauf hinaus, daß ich beschloß, mehr oder weniger aufs Geratewohl loszufahren. Ich würde die Fährte da wieder aufnehmen, wo ich sie verlassen hatte, in Oslo, um mich dann von Lust und Laune treiben zu lassen. Etwa eine Woche vor meinem Abflug kam mir jedoch plötzlich die eiskalte Erkenntnis, daß Oslo der letzte Ort war, an dem ich zu sein wünschte. In Oslo war es noch immer Winter, und mein letzter Aufenthalt in dieser Stadt lag gerade zwei Monate zurück. Da vernahm ich eine Stimme, die mir von irgendwoher zuflüsterte: »Los, Bill, fahr nach Paris.« Und das tat ich.

    In meinem Reisebüro in Yorkshire wurde ich von einer Angestellten bedient, deren geographische Kenntnisse der Welt südlich von Leeds ein wenig verschwommen sind (einmal hatte ich sie gebeten, mir einen Flug nach Brüssel zu buchen, und zehn Minuten später rief sie mich zurück und fragte: »Meinen Sie das Brüssel in Belgien, Mr. Bryson?«). Sie reservierte mir ein Hotelzimmer im 742. Arrondissement, ein reizloses Viertel praktisch am Stadtrand von Calais. Dem Hotel gegenüber befand sich eine funkelnagelneue Sporthalle, deren Architektur vage an einen Hügel erinnerte: Zu allen Seiten war sie von kurz gehaltenem Gras bewachsen, das allerdings keinerlei Funktion zu erfüllen schien, denn die Wände waren zu steil, als daß man auf dem Gras hätte laufen oder sitzen können. So diente es nur dem einen Zweck, daß der Architekt von sich sagen konnte: »Schaut alle her. Ich habe ein Bauwerk entworfen, auf dem Gras wächst. Bin ich nicht toll?« Und dies ist, wie wir bald sehen werden, die große Schwäche der Pariser Architekten. Das Hotel selbst war eines dieser sterilen, modernen Gebäude, die mich immer an die Werbung einer der privaten, britischen Krankenversicherer erinnern. Wenigstens gab es dort nicht diese sonderbaren Schaltuhren, die, wie sonst in französischen Hotelkorridoren üblich, nach zehn oder fünfzehn Sekunden automatisch das Licht ausschalten. Bei meiner ersten Europareise

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