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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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getroffen, die sich vor lauter Dankbarkeit für die Befreiung ihres Landes an meine Knie klammerten, so daß ich sie die Straße entlang schleifen mußte, und das, obwohl ich ihnen versichert habe, daß es mich 1945 noch nicht einmal als Samenfaden gab. In Frankreich wird einem so etwas wohl kaum passieren.

    Am Abend machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Île de la Cité und Notre-Dame. Ich kam durch jene Viertel, in denen dunkelhäutige Männer in gestreiften bretonischen Hemden an Laternenpfählen lehnen, sich mit ihren Klappmessern die Zähne säubern und einem vor die Füße spucken. Doch kaum hatte ich die Seine erreicht, bot sich mir ein perfektes Bild. Es war ein schöner Abend im März, und ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Ich stand auf der Pont de Sully, und vor mir lag die Île St Louis, schwach leuchtend und auf dem Fluß treibend wie eine Vision, ein mittelalterliches Dorf, das auf wundersame Weise inmitten einer modernen Stadt überlebt hat. Ich überquerte die Brücke und schlenderte durch die engen Gassen, halb darauf gefaßt, über gackernde Hühner zu stolpern oder Bauern zu begegnen, die mit Pestopfern beladene Karren vor sich her schoben. Doch statt dessen entdeckte ich schicke Restaurants und hübsche Appartements in den alten Häusern. Es war kaum eine Menschenseele zu sehen – in den Restaurants saßen ein paar Gäste, in einem Hauseingang knutschte ein Pärchen, und eine Frau mit Pelzmantel ermunterte ihren Pudel, auf dem Gehsteig un doodoo zu machen. In den Fenstern der oberen Stockwerke brannte Licht, und von der Straße sah ich Regale voller Bücher an den Wänden, Fensterbänke voller wuchernder Topfpflanzen und dekorative Antiquitäten. Es muß herrlich sein, in einer solchen Straße, auf einer solchen Insel und an einem solchen Fluß zu leben. Wer großes Glück hat, wohnt an der Westseite der Insel, wo die Straßen zwar belebter sind, man aber aus seinem Wohnzimmerfenster auf Notre-Dame blicken kann. Ich bezweifele, daß man dieser Aussicht jemals müde wird. Nur im August, wenn Reisebusse und eine Million Besucher in grellbunten Bermuda Shorts die Straßen verstopfen, mag sich die Begeisterung ein wenig legen. Selbst jetzt wimmelte es in den Straßen rund um die Kathedrale noch von Menschen. Es war acht Uhr, doch in den Souvenirläden herrschte nach wie vor Hochbetrieb. Ich machte einen gemächlichen Rundgang um NotreDame und beugte mich über ein Geländer an der Seine, um den bateaux-mouches nachzuschauen, die mit Neonlichtern geschmückt wie schwimmende Musikboxen über den Fluß glitten. Es war unbeschreiblich romantisch. Ich aß in einem halbleeren Restaurant bescheiden zu Abend und schlenderte anschließend über den Fluß zu Shakespeare & Co., einer herrlich muffigen, englischsprachigen Buchhandlung voller Spinnweben und längst vergessener Romane von Schriftstellern wie Warwick Deeping. In allen Räumen standen Stühle und abgewetzte Sofas, auf denen es sich junge Leute mit sehr intellektuellen Brillen bequem gemacht hatten und lasen. Offensichtlich lasen sie die Bücher von vorne bis hinten, denn ich bemerkte, wie ein eulengesichtiger junger Mann einen Knick in eine Seite machte und das Buch an seinen Platz im Regal zurückstellte, bevor er mir einen bösen Blick zuwarf und in die Nacht entschwand. Es herrschte eine angenehme, clubähnliche Atmosphäre, aber wie sich der Laden über Wasser hält, ist mir ein Rätsel. Nicht nur, daß der Mann an der Kasse sichtlich unterbeschäftigt war – sein eigenes Buch mußte er nur hin und wieder kurz aus der Hand legen, um einen geringfügigen Geldbetrag entgegenzunehmen –, vor allen Dingen muß doch die Lage des Ladens an den Ufern der Seine, direkt im Schatten von Notre-Dame, die Miete in astronomische Höhen treiben.
    Überall sonst auf der Welt hätte man Shakespeare & Co. in einen Souvenirsupermarkt verwandelt und ihn bis unters Dach mit Miniaturausgaben von Notre-Dame, Quasimodo-Aschenbechern, Postkarten und OO LA LA T-Shirts gefüllt. Oder in eines dieser Schnellcafés, in denen die Kellner von einem Tisch zum anderen hasten, einen vierzig Minuten warten lassen, bis sie die Bestellung aufnehmen, und dann klarstellen, daß man ganze fünfundzwanzig Sekunden Zeit hat, um seinen Rosinenkuchen zu verschlingen, den Kaffee hinunterzuspülen und zu verschwinden. Daß Shakespeare & Co. es geschafft hat, diesem kläglichen Schicksal zu entgehen, grenzt für mich an ein Wunder. Als ich den Buchladen verließ und mich auf den

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