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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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denn innen herrscht nichts als Gedränge und Verwirrung. Keine Spur von der Geräumigkeit, dem Licht und der majestätischen Ruhe des Musée d’Orsay. Man kommt sich vor wie in einem Kaufhaus am ersten Tag des Sommerschlußverkaufs. Es gibt kaum Sitzplätze und nicht einen Orientierungspunkt. Das Centre Pompidou hat einfach kein Herz.
    Draußen ist es nicht besser. Der Hauptplatz an der Rue St Martin liegt während der besten Zeit des Tages im Schatten und wurde obendrein an einen Hang gebaut. Daher ist er immer dunkel, und der Regen trocknet nie. Und auch dort gibt es keine Sitzplätze. Hätten sie am Hang eine Art Amphitheater angelegt, könnten die Leute auf den Stufen sitzen. Setzt man sich aber hier auf den Boden, muß man befürchten, gleich den Abhang hinunterzurutschen.
    Ich habe nichts gegen architektonische Neuheiten – die gläserne Pyramide am Louvre und diese Gebäude mit den riesigen Löchern in der Mitte in La Défense gefallen mir sehr gut –, ich habe jedoch den Eindruck, daß Architekten und Stadtplaner und alle anderen Verantwortlichen im Bereich Städtebau vergessen haben, für wen die Städte da sind. Sie sind für die Menschen da. Das mag zwar ganz selbstverständlich klingen, dennoch bauen wir seit einem halben Jahrhundert Städte, die allem Erdenklichen dienen, nur nicht den Menschen: den Autos, den Gewerbebetrieben, den Immobilienspekulanten, den Leuten mit dem vielen Geld und den kühnen Träumen, die sich weigern, eine Stadt vom Erdboden aus zu betrachten und nicht verstehen wollen, daß Städte Orte sind, in denen die Menschen leben und arbeiten müssen. Warum muß ich durch einen feuchten Tunnel laufen und mich mit zwei Treppen abplagen, um über eine vielbefahrene Straße zu kommen? Warum haben Autos mir gegenüber Vorrang?
    Wie können wir gleichzeitig so reich und so dumm sein?
    Zu viel Geld und zu wenig Verstand, das ist der Fluch, der auf unserem Jahrhundert lastet. Und das Pompidou scheint mir eine Art plastikgewordene Verherrlichung all dessen zu sein.

    Einmal ging ich zum Place de la République und aß in einem Bistro namens Le Thermomètre voll wehmütiger Erinnerungen zu Abend. Meine Frau und ich hatten unsere Flitterwochen im Hotel Moderne gegenüber verbracht (inzwischen leider, leider ein Holiday Inn) und allabendlich im Thermomètre gegessen, denn wir waren so gut wie pleite, und das Bistro war billig. Ich hatte meine gesamten Ersparnisse, immerhin £18, in einen Anzug für die Hochzeit investiert – ein stattliches Gewand mit Revers, die den Heckflossen eines Coupe de Ville von 1957 nachempfunden waren, und so weit ausgestellten Hosen, daß man beim Laufen nicht die Bewegung meiner Beine sehen konnte – und mußte mir von meinem Schwiegervater £12 Taschengeld leihen, damit, wie ich betonte, seine Tochter während der ersten Woche ihrer Ehe nicht Hunger leiden müsse. Ich hatte damit gerechnet, daß im Thermomètre viele glückliche Erinnerungen zurückkämen, doch mir fiel nichts weiter ein, als daß dort damals die grimmigste Klofrau von Paris gearbeitet hat. Sie sah aus wie ein russischer Ringer – ein männlicher russischer Ringer – und saß hinter einem Tisch, auf dem eine rosa Schale voller Münzen stand. Während man pinkelte, verrenkte sie sich fast den Hals, um beobachten zu können, ob man auch ja nicht auf die Fliesen tröpfelte oder heimlich eines dieser kleinen gelben Klümpchen aus dem Becken einsteckte. Es ist schon schwer genug zu pinkeln, wenn man ein Augenpaar auf sich gerichtet fühlt, aber wenn man obendrein befürchten muß, im nächsten Augenblick mit einem Genickschlag niedergestreckt zu werden, weil man sich zu viel Zeit läßt, dann läuft gar nichts mehr. Mein Urin erstarrte. Selbst mit Domestos hätte ich meine Harnwege nicht wieder frei bekommen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge an den Tisch zurückzukehren und im Hotel die halbe Nacht damit zu verbringen, den Niagarafällen Konkurrenz zu machen. Erfreut stellte ich nun fest, daß die Klofrau nicht mehr da war. Auf der Herrentoilette gab es überhaupt keine Klofrau mehr – und auch nicht eines dieser Klümpchen, nebenbei bemerkt.

    Es hat zwei, drei Tage gedauert, bis es mir auffiel, aber die Einwohner von Paris sind im Laufe der letzten zwanzig Jahre umgänglich geworden. Sie fallen einem nicht gerade um den Hals vor lauter Dankbarkeit, daß wir für sie den Krieg gewonnen haben, doch sie sind zweifellos geduldiger und zuvorkommender als früher. Mit

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