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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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schleudern können, oder einen Stock aus Ebenholz, um damit die Hotelpagen aus dem Weg zu scheuchen.
    Warum habe ich mich nicht in ein Café gesetzt, zwei Tassen Kaffee getrunken und einen späteren Zug genommen? Das wäre das Vernünftigste gewesen. Statt dessen marschierte ich schäumend vor Wut in Richtung Bahnhof, in einem Tempo, das meinem Körper überhaupt nicht gut bekam. Unterwegs ging ich in eine Bank an der Strøget, um einen Reisescheck einzulösen. Es handelte sich nur um einen Fünfzig-Dollar-Scheck (in Skandinavien nichts weiter als ein kleines Taschengeld), für den man mir Gebühren in Höhe von, sage und schreibe, fünfunddreißig Kronen abnahm, weit über zehn Prozent des Gesamtbetrages. Plötzlich verstand ich, warum der Ire, der mir in der Nacht begegnet war, zeternd durch die Straßen lief. Er hatte eine dänische Rechnung zu viel bezahlt. »Das ist ein Skandal«, rief ich aus und zerknüllte den Beleg der Bank in meiner Hand. »Warum stecke ich mir das Geld nicht einfach an die Jacke, damit ihr euch alle selbst bedienen könnt?« kreischte ich und stürmte aus der Bank, während sich Kunden und Angestellte fragend ansahen, als wollten sie sagen: Was ist denn mit dem los? Hat wahrscheinlich keinen Kaffee gekriegt.
    Und in dieser jämmerlichen Verfassung stieg ich in den Vormittagszug nach Göteborg, beschimpfte einen jungen Schaffner, weil er mir die unerfreuliche Mitteilung machte, daß es im Zug keinen Speisewagen gab, und kauerte mißmutig in einer Ecke, während die grünen Vororte Kopenhagens an mir vorüberzogen und jeder Nerv meines Körpers nach Koffein schrie. 

    Göteborg

    Auf der Fähre über den Øresund zwischen Dänemark und Schweden bekam ich endlich meinen Kaffee, und sofort ging es mir besser. Ich sah auf die schiefergraue See hinaus oder studierte meine Kümmerlyund-Frey-Karte von Südskandinavien. Die Form Dänemarks ähnelt einem Teller, der auf einem harten Steinboden zerbrochen ist: Das Land besteht aus tausend Stücken, aus Unmengen von großen und kleinen Buchten und Halbinseln, so schmal wie der Stachel eines Skorpions. Die Namen der Dörfer und Städte klangen einladend – Aerøskøbing, Skaerbaek, Holstebro –, und von Dutzenden dieser Städte führten gepunktete rote Linien zu lauschigen kleinen Inseln wie Anholt, Endelave und vor allem Bornholm, das in der Ostsee treibt und Polen näher ist als Dänemark. Ganz unvermittelt verspürte ich den Wunsch, mir all diese Inseln anzusehen, doch dafür reichte die Zeit nicht. Dafür reicht nicht einmal ein ganzes Leben. Ich hatte ja nicht mal genug Zeit, um eine zweite Tasse Kaffee zu trinken. In Helsingborg wartete ein rötlichbrauner Zug, der uns nach Göteborg bringen sollte. 250 Kilometer ging es die Westküste entlang nach Norden, vorbei an roten Scheunen, kleinen Städten mit senffarbenen Rathäusern, durch dichte Kiefernwälder, an vereinzelten Seen entlang, die von schindelgedeckten Ferienhäusern, Bootsanlegern und Reihen von Ruderbooten gesäumt waren. Hin und wieder machte der Zug einen Schlenker zur Küste, und wir konnten durch die Bäume das kalte Meer glitzern sehen. Es dauerte nicht lange, und die ersten Regentropfen streiften das Fenster.
    Ich teilte das Abteil mit einem braungebrannten jungen Mann mit Nickelbrille und Pferdeschwanz. Er war so blond, wie es nur ein Schwede sein kann, und befand sich auf der Heimreise von Marrakesch, wo er seine Freundin besucht hatte, wie er sich ausdrückte. Später stellte sich jedoch heraus, daß es sich um eine Ex-Freundin handelte, die inzwischen mit einem marokkanischen Teppichhändler zusammenlebte, was er allerdings erst bei seiner Ankunft in Marrakesch erfahren hatte (irgendwie hatte sie es versäumt, ihn auf ihren Postkarten davon zu unterrichten). Und dieser Teppichhändler zog sofort sein Krummschwert, als der Schwede auf der Bildfläche erschien, und drohte, ihn mit den Hoden in der Brotdose nach Hause zu schicken, wenn er nicht augenblicklich wieder verschwinden würde. Dafür, daß er soeben eine vergebliche Reise von einigen tausend Kilometern hinter sich hatte, machte der junge Mann einen erstaunlich gelassenen Eindruck. Fast während der ganzen Fahrt saß er im Schneidersitz auf seinem Platz, löffelte aus einem riesigen Becher violetten Joghurt in sich hinein und las in einem Roman von Thomas Mann. In Ängelholm gesellten sich zwei weitere Fahrgäste zu uns – eine mürrische, ältere Frau in Schwarz, die aussah, als hätte sie seit 1937 nicht mehr

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