Wo Dein Herz Zu Hause Ist
gesessen, und die Einheimischen hatten vernehmlich darüber spekuliert, warum der betrunkene Ire so deprimiert wirkte. Sie waren davon ausgegangen, dass er sie nicht verstand, und er hatte sie in diesem Glauben gelassen, während er sich ihre Kommentare über seine Niedergeschlagenheit, sein ungekämmtes Haar und seinen teuren Anzug anhörte. Zwei Frauen hatten sich sogar darüber unterhalten, welche von ihnen bei ihm wohl die besseren Chancen hätte. Er hatte sie beide angelächelt, vielleicht glaubten sie jetzt, dass sie alle beide bei ihm landen könnten. Es gefiel George, wenn Frauen ihn attraktiv fanden – das schmeichelte seiner Männlichkeit genauso wie seinerEitelkeit. Dennoch war er natürlich an der Bar sitzen geblieben und hatte ein Glas nach dem anderen bestellt. Er trank, bis er seinen Körper kaum noch spürte. Ein Unbekannter, dem sein Haar nicht gefiel, der ihm aber ein Kompliment über seinen Anzug gemacht hatte, wurde schließlich dazu bestimmt, ihn bis zu seinem Hotel zu schleppen. George hatte versucht, ihm ein Trinkgeld dafür zu geben, aber der Typ hatte abgewinkt.
Und jetzt lag George mit Kopfschmerzen im Bett und hatte nicht die geringste Lust auf einen Geschäftstermin. Als er sich schließlich zum Aufstehen entschließen konnte, trat er als Erstes in Erbrochenes.
Oh toll, George, wirklich toll.
Er machte den Boden sauber und ging wieder ins Bett. Bald darauf war er erneut in tiefen Schlaf gesunken. Er hörte nicht, dass Aidan ankam, obwohl der seinen Koffer zuerst gegen den Türrahmen und dann im Rückschwung an sein Knie knallte. «Oh, verdammt, tut das weh!» Er hörte nicht, wie Aidan Wasser für einen dringend benötigten Kaffee erhitzte, und er hörte auch nicht, wie Aidan unter der rauschenden Dusche stand und «Heißheißheiß!» rief. Als George schließlich wieder aufwachte, sah er direkt auf einen Hinterkopf.
Was ist jetzt los, verflucht?
Doch bevor er richtig erschrecken konnte, erkannte er das Tattoo.
«Aidan?»
«Nur noch fünf Minuten», murmelte Aidan schläfrig.
«Aidan.» George versetzt ihm einen Schubs.
«Nur noch drei Minuten.»
«Aidan!», brüllte ihm George ins Ohr.
Aidan fuhr auf. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. «Was?»
«Was machst du hier?»
«Ich bin dein Lebensgefährte. Du hast schlechte Neuigkeiten erfahren. Ich bin hier, um dich zu unterstützen.»
«Du nennst das, was passiert ist, ‹schlechte Neuigkeiten›?», fragte George ungläubig.
«Na ja, gute Neuigkeiten kann man es wohl kaum nennen.»
«Du hättest nicht kommen sollen.»
«Natürlich hätte ich kommen sollen.»
«Ich will dich nicht hier haben.»
«Natürlich nicht.»
George setzte sich auf die Bettkante und vergrub das Gesicht in die Hände. «Aidan, ich fühle mich heute wirklich nicht zu einem witzigen Schlagabtausch imstande.»
«Das verlange ich ja auch gar nicht, vor allem natürlich, weil du darin nie besonders gut bist.» Er lächelte George an, der ein Grinsen unterdrückte. «Gut. Und jetzt lass uns einen Spaziergang machen.»
«Mir ist nicht nach Spazierengehen.»
«Na gut. Dann miete ich einen Rollstuhl für dich.»
Es war früher Abend, und die Sonne schien noch. Die engen Kopfsteinpflasterstraßen waren voller Leute. Pärchen schoben Kinderwagen, Hunde wurden ausgeführt, und alte Ehepaare gingen händchenhaltend durch die laue Abendbrise.
George und Aidan saßen in einem leeren Café und sahen dem Treiben auf der Straße zu. George war ziemlich schweigsam, und Aidan ließ ihn in Ruhe.
«Hast du Harri gesehen?», fragte George schließlich.
«Nein», sagte Aidan. «Sie war zwei Tage im Clarence, dann hat sie ausgecheckt, ist aber nicht nach Hause gegangen.»
«Und was ist mit Melissa und Susan?»
«Die haben sie auch nicht gesehen.»
«Sie kann jetzt einfach nicht reden. Sie kann nicht denken. Sie braucht eine Zeitlang ihre Ruhe.»
«So wie du?»
«Bloß dass sie nicht so ist wie ich, oder?»
«George …»
«Ich wusste immer, dass wir unterschiedlich sind, aber irgendwie waren wir trotzdem gleich.» Er hielt inne. «Ich glaube, ich habe den Teil von mir verloren, der mir am meisten wert war.»
«Du hast sie nicht verloren.»
George schüttelte den Kopf. «Hab ich dir erzählt, dass sie gesagt hat, sie hätte es die ganze Zeit gewusst? Sie hat Onkel Thomas erzählt, dass sie es in ihrem Innersten schon immer gespürt hat.» Bei der Erinnerung daran, dass er in demselben Moment nichts weiter getan hatte, als davonzulaufen, biss
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