Wo der Elch begraben liegt
Aliana.
» Die Erde?«, erwiderte Frida. » Die ist hier sehr gut. Hier wurde überall Gemüse angebaut. Meine Großmutter und ihr Bruder haben alles Mögliche an Gemüse gezüchtet.«
Aliana übersetzte, und die Frau lauschte mit einer Aufmerksamkeit, die vorher nicht da gewesen war. Dann eine weitere Frage.
» Gab es hier auch Tiere?«, fragte Aliana.
» Hühner, glaube ich. Vielleicht auch eine Kuh«, sagte Frida.
Aliana übersetze wieder, und Frida sah, wie eine Träne langsam an Aferditas runzliger Wange herabrann.
» Meine Mama liebt Kühe.«
» Na so was.«
» Ich auch«, sagte Aliana.
» Das weiß ich doch«, erwiderte Frida lachend.
In der Nacht lag Frida wach. Sie dachte an Jannes Angebot. Alingsås. Nur ungefähr vierzig Kilometer von zu Hause entfernt. Pendelabstand. Dann könnte sie dieses Loch hier hinter sich lassen. Hässlich, ausgestorben und verlassen. Keine spannenden journalistischen Herausforderungen. Gelähmte Menschen ohne Glauben an die Zukunft. Alingsås. Sie sollte wirklich zusagen. Sie bekäme Einblick in eine völlig andere Arbeitsweise, würde neue Menschen kennenlernen, könnte zu Hause im eigenen Bett schlafen– vorausgesetzt, sie würde Cillas Schwester loswerden– und jedes Wochenende in Göteborg ausgehen und sich amüsieren. Dann wäre all das hier vorbei, und sie könnte Bruseryd als kurze Zwischenstation betrachten, das Ganze auf eine Anekdote über den von Gott verlassenen Praktikumsplatz reduzieren. Als sie endlich einschlummerte, hatte sie ihren Beschluss gefasst.
Um halb acht klingelte der Wecker. Frida war immer noch todmüde. Sie steckte zwei Brotscheiben in den Toaster, schaltete den Wasserkocher ein und holte einen Teebeutel, eine Tüte Milch, etwas fettarmen Käse und eine Tomate. Sie erschrak, als sie sich selbst im Spiegel an der Tür anblickte und dunkle Ringe unter den Augen entdeckte. Sie untersuchte ihr Gesicht nach Anzeichen von Falten. Vielleicht sah sie jetzt etwas älter aus als bei ihrer Ankunft. Dreiundzwanzig war ein komisches Alter. Etwas in ihrem Innern wollte schon jetzt gerne eine Antwort– wo sie landen würde, ob sie Erfolg hätte, wem sie vielleicht begegnete und ob sie eine Familie und Kinder haben würde? In gewisser Weise wollte sie unbedingt die Bilanz im Voraus einsehen und dieser nervtötenden Ungewissheit entgehen. Doch gleichzeitig gab es viele, die ihr rieten, das Jetzt zu genießen, die Zeit, in der sie noch frei war und nicht mit einem Job, einer Familie und einem Kredit festsaß. War man ein hoffnungslos langweiliger Mensch, wenn man die Sicherheit der Freiheit vorzog?, dachte Frida.
Nachdem sie ihren Tee ausgetrunken hatte, rief sie im Hochschulsekretariat an und sprach mit der für die Stundenpläne zuständigen Frau. Janne sei noch nicht eingetroffen. Er käme in einer Viertelstunde. Frida überlegte, ob sie einfach eine Nachricht hinterlassen und zusagen sollte, entschied sich aber, später zurückzurufen. Als sie auflegte, traf eine SMS von Aliana ein: » Haben supergut im Sommerhaus geschlafen. Hoffe, du kannst später kommen, damit ich dir noch ein paar Tricks zeigen kann. Liebe Grüße, A.« Während sie die SMS durchlas, piepte das Handy erneut. Eine Nachricht von Åke: » Guten Morgen. Die Zehn-Uhr-Konferenz ist auf halb elf verschoben. Verpassen Sie sie nicht. PS: Wie sehr sich doch alles verändert hat, seitdem Sie hier sind. Bis später. Åke.«
Janne Ahlsén meldete sich vor Ablauf der Viertelstunde. »Ich hab gehört, dass Sie zusagen! Das gibt Ihnen doch bestimmt Auftrieb«, sagte er und versuchte, enthusiastisch zu klingen.
» Ich hatte es vor«, erwiderte Frida. » Ich hatte es wirklich vor, aber… Tatsache ist, dass ich es schon bereue.«
» Wie bitte? Hallo? Sind Sie verrückt?«
» Vermutlich, aber ich habe das Gefühl, dass ich hier jetzt nicht weg kann. Es gibt hier ein paar Leute, die mich seltsamerweise brauchen. Sorry.«
» Und ich habe mich so abgemüht, diesen Platz zu ergattern«, sagte Janne.
» Geben Sie ihn doch Cilla. Sie scheint mit ihrem jetzigen ja nicht so zufrieden«, erwiderte Frida.
Janne gab ein gespieltes, verlegenes Lachen von sich. »Das liegt wohl eher an anderen Dingen«, sagte er. » Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun. Kommen Sie bloß hinterher nicht an und beklagen sich.«
9
Vier Tage später hatten sich all die neuen, ungewöhnlichen Dinge langsam normalisiert. Åke hatte zwei Mal überprüft, ob die Familie auch eine Aufenthaltsgenehmigung hatte. Die Angaben der
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