Wo der Elch begraben liegt
Innerhalb eines Tages hat sich die ganze Landschaft verändert«, sagte Åke, während er mit dem goldfarbenen Volvo wieder vor dem Lastwagen einscherte.
» Ja, ich hab’s im Fernsehen gesehen«, sagte Frida.
» Schauen Sie hier mal nach rechts«, fuhr Åke fort und zeigte auf eine Stelle neben der Straße.
Riesige Holzstapel lagen aneinandergereiht. Obenauf lagen weitere Schichten. Es war wirklich wie eine Landschaft für sich.
» Früher war hier eine kalte, leere Ebene. Nun ist sie voller Holz. Doch jetzt ist es dort leer, wo früher die Bäume standen. Man muss wieder von vorne anfangen, rodet und pflanzt neue Bäume.«
» Wann ist dann wieder alles so wie vorher?«
» Vielleicht in siebzig oder achtzig Jahren«, sagte Åke. » Das ist eine komische Zeitperspektive für die Holzbauern. Was sie säen, werden sie nicht zu ihren Lebzeiten ernten.«
Dichter Fichtenwald und Agrarlandschaften lösten einander im frühen Licht des Vormittags ab. Die Ortschaften waren klein und wirkten ausgestorben, als hätte eine Neutronenbombe alles Leben ausgelöscht, aber Häuser und Straßen verschont.
» Wieso gibt es überhaupt noch eine Redaktion in Bruseryd, wenn dort so wenig passiert?«, fragte Frida.
» Tja, das fragen wir uns alle. Die besteht wohl nur noch aus rein nostalgischen Gründen. Die Inhaberfamilie– die Lagerwalls– kommt aus dem Ort. Der Vorstand setzt Henry die ganze Zeit zu und will die Redaktion schließen, weil sie einfach nicht profitabel ist.«
» Das muss für Harriet ziemlich anstrengend gewesen sein, ständig mit dieser Bedrohung zu leben.«
» Ja, das kann man wohl sagen. Vielleicht hat sie das auch so fertiggemacht. Auf Sie wartet also ein harter Job. Wenn Sie die Seite nicht füllen können, steht die Lokalredaktion schlecht da. Milde ausgedrückt.«
» Ich muss also etwas liefern?«
» Nun ja, Sie sollten es versuchen. Das hängt auch von Ihren Ambitionen ab. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass es sich um einen Ort handelt, der einen leisen Tod stirbt.«
Frida hörte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme. Das hier war kein Spiel, vor dem sie einfach nach Hause flüchten konnte, wenn es sie ermüdete.
» Wie viel Menschen wohnen in dem Ort?«, fragte Frida.
» Mit den Bauerhöfen drumherum vielleicht… hundert Personen.«
» Und wovon leben die?«
» Viele sind Rentner, andere pendeln nach Eksjö oder Hultsfred und arbeiten dort in der Pflege und Betreuung. Und ein Teil ist krankgeschrieben.«
» Gibt es größere Arbeitgeber vor Ort?«
» Außerhalb des Orts gibt es ein kleines Sägewerk und eine Tierarztpraxis. Sonst nichts.«
» Nichts? Und was gibt es, worüber ich dann schreiben kann?«
» Einen Verwerfungsspalt, einen stillgelegten Hof aus dem 17. Jahrhundert… und den Hubbel. Die haben da vor ein paar Jahren so einen Straßenhubbel bekommen.«
» Hat nicht Harriet schon darüber geschrieben?«
» Klar. Aber hier auf dem Land geht alles in Zyklen. Wir berichten immer wieder über dieselben Geschichten. So wollen die Leute es hier haben.«
» Kennen Sie irgendwelche Leute, die von hier stammen?«
Åke überlegte einen Moment. »Svenne und Lotta haben irgendwann in den siebziger Jahren ein Haus am Ortsrand gemietet. Und dann gab’s natürlich noch Lempa Lennartsson, den Eishockeystar. Aber der wurde von Bollnäs abgeworben und ist vor vielen Jahren weggezogen.«
Frida sagte nichts.
Åke fuhr fort: »Sie müssen sich einfach denken, dass Sie eine ziemlich große Gegend drumherum abdecken. Schreiben sie über jedes Vereinstreffen, das irgendwo stattfindet. Der Ort gehört ja zu Eksjö, da finden Sie vielleicht im Büro der Kommunalverwaltung irgendwelches Material, auf das Sie sich beziehen können. Gehen Sie einfach raus, und reden Sie mit den Leuten.«
» Ja«, sagte Frida. » Aber worüber?«
» Das müssen Sie schon selbst entscheiden. Sie haben freie Hand.«
Sie kamen zu einer langen, übermäßig gebogenen Rechtskurve, die nie zu enden schien. In der Kurvenmitte war die Straße seltsamerweise gewölbt wie ein Hügelkamm, und obwohl Åke nur achtzig Stundenkilometer fuhr, fühlte es sich an, als ob der Wagen von der Fahrbahn abkommen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen landen würde.
» Diese verfluchte Kurve. Dass man auch nie dazulernt…«, brummte Åke , während er den Volvo auf der Fahrbahn zu halten versuchte.
Etwas entfernt vom Straßenrand, auf einem großen Stein am Rande des mit Schnee gepuderten Ackers, war eine menschliche
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