Wo der Elch begraben liegt
Gestalt zu erkennen. Sie, denn es sah aus, als ob es sich um eine Sie handelte, saß mit gesenktem Kopf da und starrte auf den Boden. Frida schoss als Erstes durch den Kopf, dass sie frieren musste. Es musste doch verdammt kalt sein, dort in diesem Wind und Schneematsch zu hocken. Dann sah sie, dass die Frau einen Daunenmantel, ein Kopftuch und Schneestiefel trug. Immerhin war sie passend angezogen, dachte Frida, konnte aber den Blick nicht von der Frau abwenden.
» Wer ist das?«
» Ich glaube, sie heißt Gunnel soundso. Das ist eine verdammt tragische Geschichte. Es heißt, dass sie jeden Tag dort sitzt«, sagte Åke.
» Was macht sie da?«
» Sie sitzt einfach nur da, Stunde um Stunde.«
» Aber wozu?«
» Nun… ihr Sohn und seine Familie sollten vor vier Jahren nach Hause kommen und den Hof übernehmen. Als sie mit ihrem Umzugswagen auf dem Weg hierher waren, hat er irgendwie die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Das kann hier schnell passieren. Der Wagen ist von der Straße abgekommen und direkt gegen den Stein da geknallt. Es ist nur Schrott übriggeblieben.«
» Wieso ist er von der Straße abgekommen? Gab es da einen Zusammenstoß?«
» Das weiß man nicht genau.«
» Und was passierte?«
» Der Mann, die Frau und der ältere Junge waren vermutlich sofort tot. Der kleine Junge lebte noch ein paar Stunden im Krankenhaus, ist dann aber ebenfalls gestorben. Sie hat also alles verloren.«
» Wie furchtbar.«
Der Himmel wurde dunkler und senkte sich tiefer herab, bis er schließlich aufbrach. Es begann zu regnen, erst zaghaft, dann immer heftiger.
» Jetzt sind wir bald da«, sagte Åke und blickte in Fridas Richtung.
Da er den Blick von der Straße abgewandt hatte, sah Frida das Reh zuerst. Das Einzige, was sie hervorstoßen konnte, war ein: » Achtung!«
Åke rammte seinen Fuß auf die Bremse. Die rechte Flanke des Rehs wurde von der linken Seite der Motorhaube erwischt, und ein dumpfer Schlag war zu hören, als das Rad den Tierkörper überrollte. Åke fuhr den Wagen an den Straßenrand und öffnete die Tür.
» Verfluchter Mist! So was ist wirklich beschissen. Warten Sie hier«, sagte er, atmete tief durch und stieg aus.
Er öffnete den Kofferraum, nahm einen Müllsack heraus und lief wieder auf die Straße zurück, wo das tote Tier lag. Er wickelte den Tierkörper ein und trug ihn an den Straßenrand. Im Rückspiegel sah Frida, wie er sein Handy hervorholte und eine Nummer wählte, während er den Tierkörper unschlüssig betrachtete. Schließlich kam er wieder zum Wagen, setzte fünfzig Meter zurück und legte das Reh in den Kofferraum. Frida überlegte, was sie sagen sollte, wenn er wieder in den Wagen stieg. Sie war völlig geschockt. Sollte sie ihre Anteilnahme ausdrücken?
» Solche Dinge passieren leider«, sagte Åke, als er auf den Fahrersitz kletterte. » Jetzt haben wir immerhin eine Überschrift für morgen: Zeitungsmann in schweren Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verwickelt.«
Frida wusste nicht recht, ob er einen Witz machte oder es ernst meinte, und sie fragte deshalb lieber nicht nach.
Ein paar Minuten später passierten sie das Ortschild: Bruseryd. Frida war noch immer so erschüttert, dass es ihr nicht gelang, sich alles so genau anzusehen, wie sie es eigentlich geplant hatte. Dafür war später sicher noch Zeit, dachte sie. Sie registrierte jedoch das stillgelegte Postamt, ein leeres Lebensmittelgeschäft, an dessen Backsteinwand nur noch die Konturen des Namens Ica erkennbar waren, sowie einen verlassenen Gewerbeladen. Der alte Kiosk im Stil der sechziger Jahre sah heruntergekommen und leer aus, doch in einem Seitenfenster war Licht, und auf demkleinen Schild an der Tür las sie: Danis Kiosk und Kebab.
» Was ist denn das für ein Laden?«
» Den gibt’s erst seit ein paar Monaten«, erwiderte Åke.
» Hat Harriet darüber geschrieben?«
» Nicht dass ich wüsste. Sie hat wohl nicht geglaubt, dass das eine gute Idee ist. Der wird sowieso bald geschlossen. Das sieht doch jeder, dass sich das nicht lohnt. Wer sollte da schon einkaufen?«
Ein paar hundert Meter weiter blinkte Åke links und bog auf den Hof eines Eternithauses mit Mansardendach und einem Giebelzimmer ein. Der Garten war gepflegt, und schöne Blumenbeete lagen am Weg. Hinter dem Haus stand eine kleine Baumgruppe, und dahinter war, so weit das Auge reichte, nur Ackerland zu sehen. Frida dachte, dass es dort unentwegt windig sein musste. Hinter den Gardinen der Souterrainwohnung bewegte sich
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