Wo der Elch begraben liegt
schön langweilig sein. Es ist kalt unter meiner Decke. Falls dich deine Wege hierherführen, schau doch mal vorbei. Dann erwecke ich dich wieder zum Leben. Peter.« Fridas Denkapparat kam abrupt in Gang. Sie sah ihn vor sich in einem großen Bett, kalt und einsam. Das war doch wohl eine Einladung, oder? Er wollte, dass sie zu ihm kam. Vielleicht hatte er sich geändert und eingesehen, wie viel sie ihm bedeutete. Oder war das bloß so eine SMS, die man schrieb, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft waren? Jetzt kroch er wieder in sie hinein und füllte ihren Körper mit der Sehnsucht nach Nähe, Wärme und Bestätigung. Aber hatte sie die eigentlich je bekommen? Hatte er nicht die ganze Zeit versucht, sie ein bisschen auf Distanz zu halten? Verdammt! Gerade jetzt, wo es ihr gelungen war, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen. Aber immerhin, eine SMS. Die zweite Nachricht war von dem Mädchen aus dem Zug: » Wir sind in Västerås. Nach Weihnachten haben die Leute kein Geld, die Geschäfte gehen also schlecht. Wir wohnen beengt. Mama ist krank. Morgen habe ich Geburtstag. Dann wird Zana mich schminken. Geht’s dir gut? Bitte schreib zurück. Liebe Grüße, Aliana.«
Agnes hatte Rock und Bluse gegen lange Hosen und Strickjacke getauscht. Sogar Joggingschuhe hatte sie an den Füßen. Sie hatte Seife, Wischlappen und Bürsten in einen Eimer gelegt und heißes Wasser in einen alten Kanister gefüllt. Jetzt wartete sie mit angezogener Steppjacke, aus deren Taschen Gummihandschuhe ragten, auf Fridas Startsignal.
» Der Recyclinghof schließt um zwei, falls wir da was hinbringen müssen. Ob das nötig wird?«, wollte Agnes wissen.
» Keine Ahnung«, erwiderte Frida. » Ich bin ja zuletzt als kleines Kind dort gewesen und weiß gar nicht genau, was ich da machen soll.«
» Das sehen wir dann, wenn wir ankommen. Sonst müssen Sie wohl Ihre Mutter anrufen und fragen.«
Sie beluden den Kofferraum, und Frida half Agnes auf den Beifahrersitz.
» Finden Sie den Weg?«, fragte Agnes, als Frida auf die Landstraße 33 einbog.
» Ich weiß nicht. Wollen wir’s mal hoffen.«
» Falls nicht, ich kenne ihn«, sagte Agnes.
Sie fuhren nach Osten in Richtung Mariannelund, bogen dann nördlich nach Äskeby ab, vorbei an Feldern und Kahlflächen. Frida sah das rote Haus des Lederjackenmannes und bemerkte, dass der Jeep verschwunden war. Auf dem Hof lagen Bretter und Gerümpel.
Frida konnte ein Lachen nicht unterdrücken. In gleichem Maße, wie sie ihr Vorhaben als mühsam einschätzte, schien Agnes voller Vorfreude zu sein.
Der Fichtenwald war dicht, dunkel und nicht sehr einladend. Doch hier gab es ihn immerhin noch. Irgendetwas an der Windrichtung musste diese Gegend geschützt haben, als der Orkan hier durchgezogen war. Nur ab und zu waren vereinzelte Bäume umgeknickt. Der Boden war von einer Schicht aus alten Tannennadeln, Moos und Blaubeerreisig bedeckt. Die Bäume neigten sich über den schmalen Schotterweg und schufen eine schwere und düstere Atmosphäre. Das Tageslicht war von einem penetranten Grau. Frida war froh, dass Agnes neben ihr saß.
Sie kamen an einem umgestürzten Lattenzaun und einem in den Graben geworfenen Gartentor vorbei. Der Wald wurde heller, und eine grasbewachsene Lichtung kam zum Vorschein. Ein überwucherter Kiesweg führte zu einem kleinen hellgelben Holzhaus mit Veranda und zerborstener Treppe. Rechts stand eine kleine, in verblichenem Fleischrot gestrichene Scheune, deren halb abgelöste Außenpaneele im Wind zitterten; links befand sich ein Holzschuppen mit einer schief hängenden Tür. Auf dem Hof gab es eine Wasserpumpe und eine verwilderte, kahle Gartenlaube. Die verrosteten und kaputten Gartenmöbel standen noch draußen. Wieso hatte Mama sie einfach stehen lassen?
Schweigend stiegen sie aus dem Auto, atmeten die Luft ein und nahmen die neuen Sinneseindrücke in sich auf. Auf dem Weg zum Haus zeigte Agnes auf die Lichtung.
» Jetzt ist ja alles überwuchert, aber Sie hätten sehen sollen, was die hier für einen Garten hatten. Ihre Großmutter und ihr Bruder haben die Erde hier so behandelt, als wäre sie ein Kind. Da wurde gedüngt und umgegraben, gesäubert und aufgelockert. Und so hatten sie dann auch die feinsten Kartoffeln, die zartesten Mohrrüben und die süßesten Himbeeren in der ganzen Gemeinde.«
Frida versuchte, sich einen Wohnort vorzustellen, wo alles in Ordnung war– der Boden bestellt, das Gras gemäht, der Weg geharkt, das Haus neu gestrichen– und wo sich die
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