Wo der Elch begraben liegt
flüstern und lachen, als wären sie Mitglieder in einem geheimen Club und amüsierten sich besser als alle anderen. Die hässliche Ann-Louise ist auch da. Sogar sie sieht in ihrem schimmernden langen Kleid elegant aus. Frida will zu ihnen gehen, ist auf dem Weg, entdeckt jedoch, dass sie nur ein Schlaf-T-Shirt und eine Unterhose trägt. Sie hat fettiges Haar und unrasierte Beine, keine Schuhe. So kann sie sich nicht sehen lassen. Sie schleicht sich ganz tief in den Saal hinein, ganz weit, wo nicht alles erleuchtet ist. Aus dem dunkeln Teil des Raums hört sie Schluchzer. Unter einem Brokatsofa aus dem 18. Jahrhundert, auf dem Boden ausgestreckt, liegt Mona. Sie hat die Arme dicht an den Körper gezogen, wirft den Kopf von einer Seite zur anderen und wimmert: Frida, du musst etwas tun. Er darf mich nicht verlassen. Wenn er mich verlässt, will ich nicht mehr leben. Wenn du mir nicht hilfst, bist auch du schuld. Aber Frida kann nicht helfen, will nicht. Sie will sich verdrücken und schleicht sich ans Fenster. Obwohl die Sonne scheint, ist es draußen kohlrabenschwarz. Sie sieht, wie Carsten die Tür eines Taxis öffnet. Plötzlich ist er nicht mehr ihr Vater, er ist zu Carsten geworden, einer anderen Person, die wichtigere Dinge zu tun hat, als Papa zu sein. Er schaut zum Fenster herauf und winkt Frida zu. Sie muss ihm zu verstehen geben, dass nur er ihre Kleider holen kann. Mama kann nicht, sie ist nur mit sich selbst beschäftigt. Nur Papa kann es, aber er will Carsten sein und nicht ihr Vater. Er kann nicht wegfahren, ohne ihr erst zu helfen, damit sie sich unter die anderen Leute mischen kann. Bloß eine Gardine oder ein Stofffetzen, egal was, nur irgendetwas, um sich zu bedecken. Sie ruft zum Fenster hinaus, doch er lacht nur und winkt ihr zu. Sie kann nicht glauben, dass er es macht, doch ohne zu zögern klettert er ins Taxi, schließt die Tür und verschwindet. Frida hat Angst, dass jemand sie hat rufen hören. Falls jemand kommt, muss sie sich verstecken. Niemand darf sie hier so sehen. Mit nackten Füßen läuft sie an der Wand entlang. In einem Flur zwischen den Sälen ist es jetzt leer. Frida späht umher. An einer Wand steht ein anderes Sofa. Es ist blau. Sie blickt sich um, läuft schnell dorthin, geht auf die Knie und kriecht schnell unter den Sitz. Jetzt kann sie niemand sehen. Der Fußboden ist kalt, und hart, aber sie ist unsichtbar. Sie sieht ein Paar große Schuhe auf dem Boden. Sie hört, wie sich ein schwerer Körper hinsetzt, dann lang ausstreckt, und sie sieht, wie sich das Sofa plötzlich nach unten krümmt. Sie wird eingequetscht werden. Sie hört eine Männerstimme sich räuspern und dann in Smålands-Dialekt sagen: Ich weiß, dass du da bist. Gefällt es dir?
In diesem Moment war Frida von Agnes’ Händen wach geworden, die ihr über das Haar strichen. Dankbar für die warmen Hände, hatte sich Frida von ihr trösten und halten lassen. Erst nach einigen Minuten hatte sie um Entschuldigung gebeten, dass Agnes von ihrem Traum aufgewacht war.
» Was hab ich geschrien?«, fragte sie.
» Papa«, sagte Agnes. » Nur Papa. Ganz herzzerreißend…«
Nach einer Weile war Agnes aufgestanden, hatte Tee gekocht und Frida ein Butterbrot gemacht. Während Frida auf dem Sofa gesessen und sich langsam erholt hatte, hatte Agnes das Fenster geöffnet und, obwohl es dunkel war, den Meisenball aufgehängt. Danach hatte sie das schlaff herunterhängende Usambaraveilchen gegossen und war hinunter in ihre Wohnung gegangen.
Frida stand auf, schaltete die Kaffeemaschine ein und holte die Zeitung. Schnell blätterte sie zu ihren Seiten vor. Wie groß alles geworden war. Eine ganze Doppelseite. Und ein Bild von ihr. Das Foto von Eiwor war wirklich grässlich, doch dafür, dass alles so schnell zusammengeschustert worden war, sah es ganz gut aus. Die Überschrift war zugespitzt, das war offensichtlich. Wie augenscheinlich alles, wenn man die Aussagen der Befragten auf ihre Essenz herunterkochte. Aber das war ja schließlich kein Fehler. Frida hoffte, dass sich niemand ärgerte, schließlich war jeder Einzelne ganz korrekt zitiert. Sie las sich alle Texte noch einmal durch. Die Kolumne gefiel ihr am besten. Jetzt müsste Harriet doch wohl zufrieden sein. Frida hatte wirklich alles getan, um den Ort auf die Karte zu setzen.
Sie überprüfte ihr Handy. Zwei SMS. Eine von Peter um 04.32 Uhr. Von Peter! Also dachte er an sie! Frida fummelte an den Tasten herum, um die Nachricht zu öffnen: » Stockholm kann ganz
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