Wo der Elch begraben liegt
stark, naiv und klug, suchte seine Unterstützung, und dann hatte sich gezeigt, dass er bloß die eklige und verlogene Hülle eines alten Journalisten war, nach Alkohol stinkend und von allen verlassen.
Langsam drehte er sich auf die Seite und sah das Erbrochene neben dem Bett. Widerlich. Konnte er noch tiefer sinken? Was würde wohl geschehen, wenn er ganz einfach nicht mehr aufstünde? Allerdings musste er furchtbar dringend pinkeln. Das war der Nachteil an Bier…
Mühsam setzte er sich auf und stellte fest, dass seine Blase in der sitzenden Position noch stärker zusammengedrückt wurde. Er musste auf die Toilette. Auf seiner schwerfälligen Exkursion ins Badezimmer, riss er im Vorbeigehen die Zeitung an sich, die im Briefschlitz an der Wohnungstür steckte. Gestern hatte er es nicht einmal geschafft, so lange zu bleiben, bis die letzte Seite fertig war. Nicht gut. Nicht, dass das irgendwann irgendeine Rolle gespielt hätte, doch es war eine Grundregel, an die er sich immer strikt gehalten hatte. Jetzt hatte er sogar in der Beziehung kapituliert.
Er hob den Klodeckel an, setzte sich und ließ es plätschern. Die einzige Form von Genuss, die er sich derzeit verschaffen konnte. Er schaute durch die wohlbekannten Zeitungsseiten. Alles sah aus wie beabsichtigt. Er entspannte sich, atmete aus und wartete auf die letzten Tropfen, während er zu den Seiten elf und zwölf umblätterte.
Das Bild von Frida ließ ihn zusammenzucken. Er hatte doch keine Verfasserzeile angeordnet? Oder etwa doch? War es schon so schlimm, dass er es vergessen hatte? Aufmerksam betrachtete er das Foto, sah ihr helles Haar und ihre auffallend geschminkten Augen. Frida Fors stand darunter. Die Überschrift der Kolumne, die er sich ebenfalls nicht erinnern konnte, gelesen zu haben, stach hervor. » Ist alles zu spät?«, lautete sie. Er las die ersten Sätze: » Bruseryd ist der Ort, der sich entschieden hat, einen stillen Tod zu sterben…«
Er fokussierte seinen Blick auf den weiteren Text und wusste plötzlich wieder, worum es ging. » Bruseryd von der Karte verschwunden«. Ja, das stimmte. Aber wo war die Umfrage gelandet? » Ortschaft wird ausradiert– niemand schert sich darum.« Er las die letzte Zeile noch mal: » niemand schert sich darum.« Was zur Hölle war da passiert? Wer hatte die Seite redigiert? Annika, natürlich. Wie hatte er sie bloß mit einer halb fertigen Seite zurücklassen können? Die Frau war doch völlig labil. Wie hatte sie bloß solch eine Überschrift setzen können? Hatte sie einen totalen Blackout gehabt? Eine nach der anderen überprüfte er die Bildunterschriften und überlegte, was er sagen sollte, wenn er sie anrief. Allerdings ging ihm langsam auf, dass der Artikel durchaus fundiert war. Ungefähr so hatten sich die Leute geäußert. Niemand schäumte, niemand regte sich auf, niemand kümmerte sich darum. Der Text und die Überschriften gaben den Inhalt lediglich in einer überspitzten Form wieder. Klassischer Journalismus eben. Wie das wohl aufgenommen wurde?
Frida wachte schweißgebadet auf. Es war kalt im Zimmer, wie konnte ihr dann zu warm sein? Sie hob die Decke an und stellte fest, dass sie angezogen war. Dicker Pullover, Schlabberhose und Strümpfe. Sie drehte sich zur Seite und warf einen Blick auf das Sofa. Er war doch wohl nicht mehr hier? Nein, nein, sie hatte Kalle ja gestern Abend noch nach Hause gefahren. Das Januarlicht sickerte unter dem Rollo hervor und breitete sich über den fadenscheinigen Knüpfteppich und dann weiter bis über den grauen Kunststoffbelag aus. Draußen vor dem Fenster sah sie einen Meisenball. War der da schon vorher gewesen? Ein Fink klammerte sich mit den Krallen im Netz fest und pickte die nährstoffreichen Samen und Fettstückchen heraus. Wie er sich abrackerte. Unverdrossen. Als ob jeder kleine Happen der allerletzte sein könnte.
Plötzlich fiel es ihr ein. Agnes war heute Nacht hier oben bei ihr gewesen. Sie hatte geträumt, und Agnes hatte sie schreien hören und war heraufgekommen, hatte sie getröstet, sie wie ein kleines Kind in den Armen gehalten und ihr über das Haar gestrichen, bis der nächtliche Traum seine Macht verlor.
Frida schloss die Augen, und der Traum wurde wieder sichtbar: Sie ist auf einem großen Fest. Es sind große Säle mit hohen Decken, Kerzen brennen in Kristallständern. Alle sind festlich gekleidet, Kanapees und Champagner werden gereicht. Peter ist da. Er ist hübsch und unterhält sich intensiv mit Cilla und Janne Ahlsén. Sie
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