Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
können nicht einmal irgendein Indiz nennen. Und ein Verdacht reicht nicht aus, wenn keine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit vorliegt, eine Annahme, die unter den gegebenen Umständen mit einem 38 Jahre zurückliegenden Ereignis komplett lächerlich ist!“
Fast schreiend fuhr er fort: „Und wo sind die Haftgründe? Wollen wir das wirklich durchgehen mit der Flucht-, der Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr? Ich kann mir Ihr Vorgehen nur mit dem Interesse irgendeines Terroropfers erklären, dem Sie leichtfertig nachgekommen sind. Sie hätten sich wenigstens beraten lassen sollen.“
Der Anwalt begutachtete erst seinen Lutscher, dann die beiden Frauen, bevor er fortfuhr: „Wann kommt mein Mandant frei? Jetzt oder gleich?“
Am späten Nachmittag war es soweit. Der Anwalt hatte seinem ungepflegten wie harschen Auftreten schnell eine versöhnliche Geste folgen lassen, sodass die Freilassung ohne Gesichtsverlust angewiesen werden konnte. „Wir werden der Sache weiter nachgehen“, hatte die Staatsanwältin zum Abschied aber noch sagen wollen. „Das spricht für Ihre Arbeit“, antwortete der Anwalt wider seiner Überzeugung.
Um was es sich bei der Sache denn nun handelte und wie die Sicherheitsbehörden denn überhaupt von der „Affäre im letzten Jahrtausend“, wie es der Anwalt nannte, erfahren haben, unterlag der Neugier, die Manfred gern befriedigt sehen wollte. Die Auflösung war einfach: Bei den Recherchen für eine Biografie der Terroristin hatten sich irgendwann Hinweise auf Manfred ergeben. Die Information sorgte in Opferkreisen und deren politischen Umfeld für Aufmerksamkeit. Alsbald war der Weg zur Justiz gefunden.
Manfred genügte diese Erklärung fürs Erste, um die Geschehnisse bald zur Seite legen zu können. Seine Gelassenheit hatte er in der Untersuchungshaft verloren, was sich in dem hartnäckigen Schweigen bei Ilonas Besuch ausgedrückt hatte. Ilona fragte Manfred gleich nach seiner Entlassung, was ihn denn so beunruhigt hätte: „Wenn da mehr war als diese Affäre und du in den Terrorismus verstrickt warst, gibt es keinen Grund, warum du nicht mit mir darüber redest.“ „Nein, nein“, wiegelte Manfred ab, „das war es nicht. Irrationale Ängste nennt man das wohl, womit ich zu tun hatte. Ich habe mich schon in Stammheim in Isolationshaft gesehen.“ Anschauen konnte Manfred bei dieser Äußerung seine Frau nicht.
Die Feier zur Silberhochzeit wurde bald nachgeholt. Wider der anwaltlichen Erwägung verzichtete Manfred auf eine Klage wegen Rufschädigung. Stattdessen erhielten Haftrichterin wie Staatsanwältin eine Einladung zum Mitfeiern im erneut angemieteten Restaurant „Am Rathaus“. Letztere erwiderte die von Manfreds Verärgerung über die vielen Umstände motivierte Einladung immerhin mit einer Karte, die Manfred spät in der Nacht in dem Nebenraum, der wie bei der Hochzeitsfeier vor 25 Jahren für die Ablage von Geschenken und Glückwunschkarten vorgesehen war, genau in der Mitte des Tisches liegend fand. „Ich wünsche Ihnen viel Seelenruhe, Herr Manfred Semmler“, hatte die Staatsanwältin mit der Hand geschrieben.
Was weiß die noch, fragte sich Manfred.
201 2
Manfreds Zimmer erinnerte an eine Höhle; auf Ilona hatte es immer wie ein Nachbau seines WG-Zimmers in der Frankfurter Wohngemeinschaft gewirkt.
Das stimmte zwar so nicht, denn auch an Manfred war es nicht vorbeigegangen, dass die Informationsgesellschaft die Gleichschaltung der Wohnungseinrichtungen kräftig vorangetrieben hatte. Aber auch wenn die beiden 27 Zoll großen PC-Monitore auf seinem Schreibtisch dafür als Beispiel genommen werden konnten, so tat das dem Raumgefühl, das Manfreds ehemaliger Behausung in der Mainmetropole nahekam, keinen Abbruch. Manfred hatte bei seinem Umzug vor über einem viertel Jahrhundert auf die Mitnahme seiner schweren Möbel bestanden und er hatte nie einen Grund gesehen sie auszutauschen. Er mochte Holz, Bücher, schwere Vorhänge und wenig Licht. Auf der Suche nach einem Begriff, der die Eigenart seines Zimmers am besten auf den Punkt brachte, kam Manfred einmal auf das Wort heimlich. Heimlich passt gut zu Geheimnis, sinnierte Manfred dabei weiter, womit er seine Charakterisierung erst recht als treffend empfand.
Eine gewisse Aura von Heimlichkeit strahlte auch das Haustelefon aus, das neben Manfreds Bettlager auf dem Boden stand. Das lag zum einen an dem ältlichen Design dieses noch mit einer Zählscheibe ausgestatteten Sprechapparats. Zum
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