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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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nur einmal! Wer glaubt, noch Schlimmeres berichten zu können, trete nach vorn.“ Stille auf offener See. Manfred blieb allein auf seinem erhöhten Standort. Sein Auftritt war noch nicht zu Ende. „Über Tote redet man nicht schlecht.“ Die Stille wurde nun durch leises Gemurmel unterbrochen, irgendwann sagte jemand: „Aber Werner ist doch gar nicht tot. Da schwimmt er doch.“ Manfred wartete nicht lange mit seiner Antwort: „Eben! Wer will, dass wir nicht mehr weiter schlecht über Werner reden können, der singe mit mir das Lied ‚Lasst uns jetzt ein schneller Dampfer sein‘ zur Melodie des Nikolausliedes ‚Lasst und froh und munter sein‘.“
    Und so sangen sie. Die ganze Bootsbesatzung. Erst nur die Passagiere, die Werner kannten und über ihn Unseliges zu berichten gewusst hatten, dann auch die, die diesbezüglich ebenfalls gern noch etwas beigesteuert hätten und schließlich auch diejenigen, die Werner gar nicht kannten, aber sich in ihrer Sehnsucht nach Harmonie gern dem schönen Singsang anschlossen. Einige winkten noch zu Werner hinüber, als das Rettungsboot die Geschwindigkeit erhöhte und es bei rhythmischen Klatschen mehrstimmig übers offene Meer schallte:
     
    Lasst uns jetzt ein schneller Dampfer sein
    und den Werner dort im Meer allein
    Tot sein, Tot sein, wie ein alter Hecht
    dann nicht mehr reden über Werner schlecht
    dann nicht mehr reden über Werner schlecht
     
    *
     
    Es ist ja beeindruckend, was ein Mensch so alles träumen kann, dachte Manfred. Und schön ist es, dass ein Mensch für den Inhalt seiner Träume nichts kann. Und wenn es denn richtig sein sollte, sinnierte Manfred weiter, dass Träume Schäume sind, dann empfiehlt es sich, das gerade Geträumte einfach zu Vergessen. Wobei das Vergessen sich ja eigentlich nur dann empfiehlt, korrigierte sich Manfred postwendend, wenn man unter dem, was da denn im Schlaf so über einen kam, leidet oder zumindest davon nicht sonderlich angenehm berührt ist.
    Aber ist das bezüglich meines Traumes überhaupt so, fragte sich Manfred, als er sein Frühstück im Bett seines Hotelzimmers zu sich nahm. Manfred überprüfte seine Schlafanzugsjacke. Alles trocken, stellte er fest. Dann untersuchte Manfred seine Laune. Bestens, konstatierte er; so gut wie schon lange nicht mehr. Dazu passte es, dass ihn im Moment seine Operationsnarben anzulächeln schienen.
    Da ihm der Schlaf also keinen schweißnassen Pyjama und auch keine schlechte Stimmung beschert hatte, sondern im Gegenteil ein freies und gutes Gefühl, muss ihm der Traum, schlussfolgerte Manfred, ausgesprochen gut getan haben – auf der Stelle konnte Manfred seine nächtlichen Gedankengänge ins große Ganze seines seelischen Befindens einordnen: Der Traum schien ihn von seiner Neigung zu einem latent schlechten Gewissen wegen Vorfällen, die bald drei Jahrzehnte zurück liegen, befreit zu haben. Im Moment war Manfred sogar perplex darüber, dass er gegenüber einem solchen Menschen wie Werner überhaupt jemals ein schlechtes Gewissen hatte entwickeln können.
    Manfred fühlte sich also sehr frei, als er ins Auto stieg und sich auf den Weg nach Hause begab. Aber wie das so ist, wenn man von dem schönen Gefühl der inneren Freiheit zum Quadrat befallen wird, so ist es doch nur eine Momentaufnahme. Die innere Freiheit ist kein Zustand, sie kommt erneut in einen quälenden Kontakt mit dem Vergangenen, wenn die kommenden Entwicklungen eine gewisse Komplexität aufweisen.
    Und genau so erfuhr es Manfred. Und wieder – Manfred wollte es nicht wahrhaben und rollte genervt mit seinen Augen – wieder holte ihn Werner ein. Wenn auch diesmal nicht in der Form eines schlechten Gewissens.
    Manfred fing Werner jetzt an zu hassen, hier in seinem Auto auf der Fahrt nach Hause zu seiner Ilona. Er hasste ihn so, wie er ihn damals in den Katakomben der Mintarder Autobahnbrücke hassen konnte. Der Traum der vorherigen Nacht lief in allen Einzelheiten immer wieder vor Manfreds geistigen Auge ab. Er dachte dabei an die Tochter von Werner, die sich mit genau jenen Erfahrungen mit ihrem Vater gemeldet hatte, die sie auch in Wirklichkeit hatte erleben müssen. Gleiches galt für den Sohn von Werner, der bis heute nicht darüber sprechen wollte, welche Unverschämtheiten sich Werner gegenüber seiner Freundin geleistet hatte.
    Manfred dachte auch über die Stelle in seinem Traum nach, als Werner von einer Frau mit einem Halsband bezichtigt worden war, ein so genanntes Safeword ignoriert zu haben. In dem

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