Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
geben, alles passte. Manfred war bei seinem nächtlichem Spaziergang zum Friedhof gegangen und hatte Werners Grabstein umgeschmissen.
Der Grabstein von Werners Vater stand wie zum Trotz, so fand Ilona, in aufrechter Form daneben. Wobei sie bei dieser Beobachtung länger verweilen musste, ganz so, als ob sie sich der Richtigkeit ihrer Bestandsaufnahme vergewissern wollte. Und je länger sie schaute, desto mehr war sie geneigt, Otto Karberts Grabmal genauer zu untersuchen: Um einen rechten Winkel handelte es sich eher doch nicht, welcher das geometrische Verhältnis von Erdboden und Otto Karberts Gedenkstein treffend beschrieb. Leicht neigte sich der Stein in die Richtung, in welcher Werners Grabstein umgestoßen worden war. Ilona machte einen Schritt nach vorn, kniete nieder und begutachtete den Erdboden vor und hinter Otto Karberts Grabstein. An der einen Seite zeigte sich die Grasnarbe frisch aufgerissen, an der anderen Seite leicht gewellt. Manfred hatte auch versucht, daran gab es für Ilona nichts zu deuteln, Otto Karberts Grab umzustürzen.
Energielosigkeit zwang Ilona dazu, sich der nahe stehenden Bank zuzuwenden. Ihr Atem ging schwer und tief – eine Form des Ein- und Ausatmens, die sie in letzter Zeit oft erfahren hatte. Es dauerte eine Zeit, bis sie klar im Kopf war. Erst war sie erschrocken, als sich ihr eine Erklärung für Manfreds nächtlichen Vandalismus anbot. Dann spürte sie sogleich ein Gefühl der Erleichterung, denn endlich vermochte sie das diffuse Benehmen ihres Mannes in den letzten Monaten besser einzuordnen. Als sich ihre Einschätzung verfestigte, spürte sie die Rückkehr der Energien. Sie stand auf und ging festen Schrittes den Weg zum Friedhofstor und dann zurück nach Hause. Den Gruß eines bekannten Gesichts nahm sie nicht wahr; ganz in sich versunken, befand sie sich bereits in einer fiktiven Unterhaltung mit Manfred. Denn sie konnte es kaum noch abwarten, ihrem Mann das zu sagen, was ihres Erachtens gesagt werden musste.
Endlich war sie zu Hause.
„Hallo.“ Ilona hörte Unsicherheit in Manfreds Stimme, als er zusah, wie sie seine verräterischen Stiefel zurück auf das Schuhregal stellte.
„Komm mal mit“, sprach Ilona, nahm Manfred an die Hand und zog ihn hinter sich auf die Terrasse. „Du hast mir was zu erzählen, Manfred!“, donnerte es sogleich, kaum, dass sie auf dem Gartenstuhl Platz genommen hatte.
„Ich mach‘ uns erst einmal einen Tee.“
„Du machst jetzt gar nichts, außer dich hier hinzusetzen... Du hast Werners Grabstein umgeschmissen. Und mit dem Mal von seinem Vater hattest du das Gleiche vorgehabt.“
Ilona machte eine Pause, ohne dass man jedoch das Gefühl bekommen konnte, sie dulde eine Zwischenbemerkung.
„Das war nicht der erste Ausfall gegen Werner, seid du krank bist. Ich muss dich nur dran erinnern, wie vehement du ‚Halts Maul, Werner‘ geschrien hast, als du aus einem Alptraum aufgewacht bist. Kannst du deine Wutausbrüche gegen Werner erklären? Du hast einiges an schlechtem Gewissen in den letzten Monaten durchlebt. Du hast gewusst, dass du gegen dieses Gefühl machtlos bist und mit deiner Beichttour ihm den Raum gegeben, den es haben wollte. Das hat dir gut getan.“
Dass es nicht zuletzt Werner war, gegenüber den Manfred etwas geplagt hatte, wusste Ilona nicht, als sie sich im Folgenden weitere Gedanken machte. „Manfred! Dich hat in deinen Alp- und Wachträumen nicht nur die Frage eigener Schuld gequält, sondern auch umgekehrt die Frage, wer dir im Leben was angetan hat. Und da hast du dich dann bei Werner in was hineingesteigert.“
Ilona war überzeugt davon, dass Manfred gerade ein Licht aufging.
„Vieles muss zusammen gekommen sein, warum du nicht einfach nur wütend warst, sondern die Wut von dir Besitz ergriffen hat.“ Ilona kam um den Tisch zu Manfred rum, kniete sich neben ihm, nahm seine Hand und sagte: „Manfred. Das ist in Ordnung, was gestern Nacht geschah. Erinnerungen und Wahn haben sich bei dir vermischt.“ Sie streichelte seinen Handrücken, bevor sie fort fuhr: „Das hätte dir auch schon viel früher passieren können.“
*
„Mann, Manfred! Wie konntest du nur! Die Postkarte des Schulleiters war doch unmissverständlich !“ Ilona sprach energisch und ihr Blick hatte sich abgewendet. „Er hatte eine Unterhaltung rigoros abgelehnt und sich unzweideutig jeden weiteren Kontakt verbeten. Und dann so was...“
„Ja, ich weiß. Ich...“
„Manfred, du musst mit mir reden, bevor du so was
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