Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
der Sackgasse zeigte sich ein Café, beziehungsweise „eher eine Kneipe, hier wird auch mal gesoffen“, wie der Professor mit einem Blick auf eine Leuchttafel mit der Aufschrift „Exit“ meinte, ein elektrisch beleuchtetes Schild, das in der hiesigen, von Zeichen moderner Außendarstellung ansonsten freien Umgebung leicht seltsam anmutete.
Ilona hatte den Helfer des Professors gebeten, die kurvige Straße einige Male auf- und abzufahren. Vier Häuser hatte sie dabei gezählt, bei denen die Türen weit offen standen. Eins dieser Gebäude zeigte die Hausnummer, die Manfred für Ilona aufgeschrieben hatte.
Nachdem sie vor diesem Haus ausgestiegen war, offenbarte sich Ilona ein Anblick, den sie zwar als angenehm empfand, der sie dann aber zugleich stutzen ließ. Augenblicklich fingen die Synapsen in ihrem Hirnareal, das die Erinnerungen speichert, hektisch an zu arbeiten. Als Ilonas Augen vom Vorgarten, der auf sie fast den Eindruck eines kleines Parks machte, zur weiträumigen und verwinkelten Terrasse des Gebäudes wanderte, wusste sie, dass sie diesem Haus schon einmal begegnet war. Lange war es her. Fast genau 32 Jahre, glaubte Ilona sich treffsicher ins Gedächtnis rufen zu können, als ihr Blick nochmal an der Terrasse hängen blieb. Dort hatte damals Manfred bei Kaffee und Kuchen erfahren, dass er sie nicht wiedersehen kann. Irgendwann in den Wochen nach ihrer so romantischen wie leidenschaftlichen Begegnung in Gorleben war das geschehen. Ilona wurde es weich in den Knien.
Damals hat es sich hier um eine Art Landhotel gehandelt, eine Beschreibung, so fand Ilona, die mit viel Phantasie auch für die heutige Nutzung des Gebäudes beibehalten werden konnte – mit sehr viel Phantasie, korrigierte sie sich, denn es war nun zu einem Hospiz umgebaut, denn Hospize haben, wie sie wusste, immer die Türen offen stehen. Gleich vier Hospize an einem Ort, das ist schon ungewöhnlich, womöglich einzigartig, dachte Ilona.
Sogleich sollte der Helfer des Professors alle Fragen beantworten, die Ilona gerade durch den Kopf gingen. Sein Smartphone hatte ihn auf der Fahrt ausführlich darüber aufgeklärt, was er über die Adresse hatte wissen wollen.
„Es gab hier mal Anfang der 90er Jahre eine harte Auseinandersetzung mit den Ureinwohnern, als zwei Hospize aufmachten. Viele waren dagegen“, sprach der Helfer.
Ilona registrierte erstaunt die ihr bisher noch unbekannte Stimme und sagte: „Das wundert mich. Schafft doch Arbeitsplätze. Und nichts zählt in unserer Welt mehr als das. Selbst wenn die zu nichts nutze sind.“
„Das war‘s nicht“, fuhr der Helfer fort. „Auftraggeber war eine humanistische Vereinigung von Ungläubigen.“
Der Professor guckte ungläubig.
„Äh, ich meine von Agnostikern und Atheisten... Die Hospize waren dann auch nur für die gedacht. Das ertrugen 72 der 83 Einwohner, allesamt Gläubige, nicht.“
„Wer war der größte Held der elf Abtrünnigen?“, fragte der Professor.
„Ein gewisser Robert Lang. Der macht heute die Kneipe in der Sackgasse... Soweit ich das überblicken kann spielte Geld eine große Rolle, dass sich das dann alles so entwickelt hat, wie es heute ist.“
„Ach was“, zeigte sich sein Geschlechtsgenosse wenig erstaunt.
„30 Ureinwohner wohnen immer noch hier. Allesamt inzwischen bekehrt.“
„Wie bekehrt?“, fragte der Professor.
„Äh, ich meine, die finden das jetzt gut mit den Todesheimen. Meistens Jüngere. Ökobauern sind die nun. Oder sie machen Dienstleistungen für die Hospize.“
„Das muss ja eine irre Geschichte sein. Endlich hast du ein Thema für deine Diplomarbeit“, fiel dem Professor ein.
„Keine schlechte Idee.“
„Aber pass auf die Keller auf. Bei 72 Gläubigen könnte man auch hier in einem Keller auf Überraschungen treffen.“
„Wie? Was meinst du?“, verstand der Student nur Bahnhof.
„Nun macht mal einen Punkt“, reichte es Ilona, nachdem die Unterhaltung immer lauter geworden war. „Stille ist hier Gebot.“
Der Helfer widersprach. „Da könnten Sie die Hospize falsch einschätzen, Frau Semmler. Das ist nicht unbedingt so.“
Ein lautes Lachen aus dem Hospiz, dem unmittelbar ein allgemeines Gelächter folgte, schien ihm recht zu geben.
Gerade wollte Ilona durch die offene Tür in das Hospiz eintreten, da tippte ihr der Helfer an den Arm. „So ist das mit der offenen Tür nicht gemeint, Frau Semmler. Man klingelt trotzdem. Darf ich“, sprach er und betätigte sogleich den Klingelknopf.
Es dauerte ein
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