Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
dabei eine ganz fürchterliche Seite zeigte, war die Liebe weg.“
„Huch“, wollte sich Embrina Magotti gar nicht überrascht zeigen, „nur ein Mal war die Liebe in Ihrer Ehe weg? Was für ein Glück!“
*
„Alles ganz normal“, hatte Manfred auf die Frage des Professors am Telefon geantwortet, wie es ihm denn geht.
Der Professor meldete sich regelmäßig bei der Familie Semmler, mehrmals die Woche. Immer rief er in der frühen Nachmittagszeit an, dann, wenn Manfred ruhte, um sich bei Ilona zu erkundigen, was der Krankheitsverlauf von Manfred so mache. Meistens dauerte das Telefonat lange, denn Ilona nahm das Gespräch dankbar als Stütze für die seelischen Herausforderungen, mit denen sie angesichts des bevorstehenden Endes ihres Mannes zu tun hatte. In der Regel sprachen der Professor und Ilona gar so lange, bis Manfred wach wurde und dann selbst noch mit dem Professor ein paar Sätze reden konnte.
Und dabei hatte der Professor nun Manfred gefragt, wie es ihm denn gehe, eine eher aus der Verlegenheit geborene Frage, denn der Professor wusste von Ilona nur zu gut, dass es Manfred nicht gut ging, und so hatte er sich auch denken können, dass Manfred die Frage gar nicht gerne hörte. Aber nun war sie dem Professor rausgerutscht, er konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Und Manfred antwortete, dass „halt alles ganz normal“ ist.
Eine Antwort, so fand Manfred zugleich, die eigentlich nie falsch sein kann, denn was kann heutzutage schon noch von sich behaupten, so außergewöhnlich zu sein, dass es mit dem Attribut des Unnormalen sich zu Recht wichtig hätte dürfen machen können? Nein, längst gehörte es zum Allgemeingut sich für aufgeklärt haltender Menschen, dass eigentlich so gut wie gar nichts unnormal ist. Ein Spruch wie „Anders ist normal.“ gehört mittlerweile selbst, musste Manfred gerade denken, zum sprachlichen Grundinventar eines Kaffeekränzchens von Genderfrauen, die sich zum Netzwerken treffen und dabei zum Zweck des Fortkommens so tun, als ob sie sich mögen.
„Was denkst du denn gerade?“, schien der Professor bei Manfred einen Gedankengang zu ahnen, dem möglicherweise auch er etwas abgewinnen könnte.
„Etwas Subversives.“
„Gut. Ohne Subversion kein Pathos der Befreiung. Und ohne die Sehnsucht auf Befreiung ist man tot.“
Der Professor merkte seine Fauxpas umgehend und biss sich auf die Lippen. Ein leises „Sorry“ war zu hören.
„Ach was. Mach dir nicht in deine große Unterhose! Freu dich, dass dein hohes Alter dir noch so viel geistige Lust beschert... Bis nächste Woche. Hoffentlich. Ich muss noch mal schlafen.“
Das war in der Tat nötig, denn der Schwung seiner Sätze war schon seit längerem nicht mehr selbstverständlich und hatte Manfred Kraft gekostet.
Und als Manfred eben „Hoffentlich.“ sagte, stellte das nicht etwa einen Ausdruck von Selbstmitleid dar, sondern hatte einen ganz realen Hintergrund. Denn dass sein Abschied mit Riesenschritten kommen konnte, zeigte der Verlauf seiner Krankheit unerbittlich. Von wegen „Alles ganz normal“, wie Manfred auf die Frage des Professors nach seinem Befinden zur Antwort gegeben hatte. Jedenfalls nicht, wenn der Maßstab für die Normalität sein gesundheitlicher Zustand war, wie er sich noch auf der Fahrt mit Ilona nach Italien dargestellt hatte.
Seit Italien war etwas Zeit vergangen und die Leiden hatten ihre Spuren gezeigt. Manfred gehörte inzwischen zu denjenigen 80 Prozent von Krebskranken, die nach der operativen Entfernung von Metastasen alsbald mit weiteren Absiedlungen ihres Ursprungstumors zu tun haben. Zwar stellte sich die Diagnose des Arztes, dass der Krebs am Darm weg ist, als korrekt heraus, jedoch bedeutete dass angesichts der Tatsache, dass sich Metastasen an der Niere zeigten, keine Besserung. Aufkommende Schmerzen im Knie deutete Manfred als ebenfalls im Kontext mit der Krebserkrankung, und richtig, schon bald prognostizierte der Arzt, dass „sich auch im Kniegelenk Metastasen angesiedelt haben könnten.“ Von einer genaueren Untersuchung oder gar einer weiteren Operation sprach der Arzt dabei nicht, was Manfred als dezente Aufforderung interpretierte darüber nachzudenken, inwieweit er mit Untersuchungen und Therapien fortzufahren gedenkt oder ob er sich nicht lieber mehr Lebensqualität von der Konzentration auf die Schmerztherapie versprechen möchte. Ilona war entsetzt über diese unausgesprochene ärztliche Andeutung. „Er hat ja recht“, meinte Manfred
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