Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
eins geschlagen hatte. Ein andauernder Blick in die beiden nur leicht versetzt gegenüberliegenden Zimmer blieb ihm verwehrt, nur wenige Male hatte er durch die Gardinen und halb geschlossenen Fensterläden eine relativ freie Aussicht. In diesen Momenten sah Manfred aber etwas, was ihm nicht aus den Kopf ging. Bücher, egal wohin er schaute. Ein Buchhändler als Freund und überall Bücher, was soll ich mir darauf bloß reimen, fragte sich Manfred.
Dass er sich schon vor der Reise etwas zusammengereimt hatte, was er für seinen Aufenthalt in Klausen zu gebrauchen gedachte, fiel Manfred umgehend ein, nachdem er seine Beobachtung von Klaus Wilkens für genügend erklärt hatte. Manfred hatte wissen wollen, ob und wann er Wilkens alleine und ungestört antreffen kann. Und mit Wilkens abendlichem Spaziergang zum Kloster Säben hatte er eine Antwort gefunden. Und keine schlechte, wie er fand. Denn sie legte es ihm auf die Hand, was er nun in welcher Reihenfolge zu tun hatte.
Zuerst hatte Manfred einiges einzukaufen, was schnell getan war. Bald hatte er in seinem Zimmer einen Papierbogen in DIN-A2-Größe, einen dicken Schreiber, Klebe- und Gummiband und ein Fernglas zusammengetragen. Das Papier breitete er auf dem Tisch aus. Mit dem schwarzen Stift schrieb er nun mühevoll die Zeilen auf, die er sich schon in Frankfurt ausgedacht hatte und von seinem Taschenkalender hochkonzentriert ablas. Schreibfehler wollte er nicht zulassen; eine Kunst für ihn, das zu schaffen.
Die Jungen hatten die Wahrheit erfahren nie
und wussten nicht wohin mit ihrer Energie
Sie hatten Angst aber keine Zeit dafür
so folgten sie dem Nazi-Staat über Gebühr
Einige taten das fast unter der Erde
ganz in der Nähe einer Schülerherde
Sie hauten drauf und schlugen tot
kamen aber bald in große Not
Denn verloren war der Krieg
die anderen hatten den Sieg
Da stellte sich für Klaus die Frage
wie überleben über Tage?
Denn er war gewesen der Boss
der das Leiden anderer genoss
sich auch gern an ihrem Reichtum vergriff
und von ihren Fingern Ringe abriss
Du musstest dich bald flüchtig machen
und das Gold im Keller lassen
Aber weil ich bin ein netter Mensch
mach ich sie dir zum Geschenk
Manfred schaute sich sein Plakat an, er war zufrieden mit der Schrift. Dann rollte er es zusammen und spannte ein Gummiband herum. Er hatte noch einige Stunden Zeit, was er dankbar dafür nutzte, sein Schlafdefizit etwas auszugleichen. Am frühen Abend verließ er seine Pension. Er trug einen Rucksack, seine Hand umfasste das aufgerollte Plakat.
Touristen waren um diese Uhrzeit nicht mehr auf dem Weg hoch zum Kloster Säben unterwegs und das Kloster selbst verweigerte sich ab dem späten Nachmittag der Öffnung zur Welt. So konnte Manfred davon ausgehen, bei seinem kurzen Marsch alleine zu bleiben. Es war kurz vor sieben Uhr, als er auf halben Weg zur Klosteranlage stehen blieb, das Plakat mit Klebestreifen an einer Felswand befestigte und die Schachtel, die er in den Kellerräumen des Humanistischen Gymnasiums gefunden hatte, direkt daneben auf einen kleinen Felsvorsprung legte. Die Goldringe hatte er gegen billige Ringe, wie man sie aus jedem Kaugummiautomat ziehen konnte, ausgetauscht.
Zwanzig Meter die Straße aufwärts hatte sich Manfred im Gehölz einen geeigneten Beobachtungsplatz geschaffen. Vom Standort des Plakats schaute man in seine Richtung direkt in die schräg stehende Sonne. So war es selbst mit Argusaugen unmöglich, ihn dort auszumachen.
Manfreds Herz schlug schneller als er in seinem Versteck auf Klaus Wilkens wartete und nachdachte. Klaus Wilkens‘ Abendspaziergang müsste pünktlich vor einigen Minuten begonnen haben, denn Rituale sind gerade für nervöse Menschen das halbe Leben. Gleich müsste er den Weg rauf um die Ecke kommen.
Bald hörte Manfred etwas. In für die engen Straßenverhältnisse atemberaubender Geschwindigkeit kam ein Jeep um die Ecke, gesteuert von einem Mann in Mönchskutte. Bei der Geschwindigkeit kann der unmöglich nach links oder rechts schauen, war Manfred erleichtert darüber, dass der Fahrer das im Schatten der Wegbiegung aufgehängte Plakat nicht wahrnahm.
Dem Gottesanhänger folgte nach wenigen Minuten Klaus Wilkens. Der wird Augen machen, murmelte Manfred.
Aber nichts dergleichen geschah. Auch für Klaus Wilkens zeigte sich das Plakat im Schatten der scharfen Linkskurve, die er hinaufzuschreiten hatte. Seine Augen schauten nicht in Richtung der Felswand, sondern bewegten sich zur
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