Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
bergabwärts zeigenden Seite mit Blick auf die Landschaft. Bald war er an Manfreds Versteck vorbeigelaufen und Richtung Kloster verschwunden.
Manfred beruhigte sich damit, dass Klaus Wilkens den Weg ja auch noch zurück zu gehen hat und dann das Plakat unmöglich würde übersehen können. Und in der Tat: Schon von Weitem fiel Klaus Wilkens bei seiner Rückkehr der Anschlag ins Gesicht, welches sofort mit großen Augen daran haften blieb. Einige Meter vor dem Text blieb er stehen, um dann im Eiltempo ganz nah an das Plakat heranzutreten. Klaus Wilkens stand fast mit dem Rücken zu Manfred, dem es somit unmöglich war, das Gesicht von Klaus Wilkens zu erkennen, etwas, woran Manfred so viel gelegen hatte.
Der konnte nur ahnen, was Wilkens durch den Kopf ging. Sortierte Gedanken werden das nicht gewesen sein, vermutete er, denn der Chef der Keller-Gestapo stand da, was man wie versteinert nennt. Waren es mehrere Minuten, die er auf das Plakat starrte? Manfred wusste es nicht; die Zeit verweigerte, sich messen zu lassen, sie schien sich aufgelöst zu haben angesichts der über 34 Jahre, die zwischen dem Inhalt des Plakattextes und der Gegenwart lagen. Krümmte sich die Zeit vielleicht gerade? Wenn ja, bestimmt nicht vor Lachen, sinnierte Manfred.
Wie auch immer. Klaus Wilkens krümmte sich alsbald auf jeden Fall, er ging in die Hocke, seine Knie waren ihm weich geworden. Und mit der geduckten Körperhaltung änderte Klaus Wilkens seine Stellung zum Plakat und damit auch zu Manfred, der mit dem Feldstecher nun gut Wilkens Konterfei erkennen konnte.
Er musste den ganzen Text längst erfasst haben. Wie lange hat Klaus Wilkens wohl nicht mehr an seine Schandtaten gedacht, ein paar Stunden, mehrere Monate, viele Jahre, ein oder zwei Jahrzehnte?, fragte sich Manfred. Jeder geht mit dem Leben anders um und eben auch mit seinen Leichen im Keller.
Und dass Klaus Wilkens bei dem Umgang mit seinen Leichen im Gestapo-Keller jetzt außer sich war, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dort sah man das Grauen, alles an seinem Antlitz hatte seine Fassung verloren; er schien sich seines Desasters bewusst zu werden – vorbei mit dem guten Leben, wird es ihm in den Sinn gekommen sein; jetzt wartete, wenn überhaupt, nur noch ein schlechtes.
Nichts von dem, was Klaus Wilkens Gesicht nun ausdrückte, kam für Manfred unerwartet. Manfred wollte aber mehr wissen. Litt Klaus Wilkens nur, weil ihm die Bedrohung für sein weiteres Leben bewusst wurde, oder litt er daran, was er anderen Menschen damals angetan hatte? Wie gern hätte Manfred diese Frage beantwortet gehabt, eigentlich hatte er vor allem deswegen seine heutige Aktion durchgeführt; Manfred war sich sicher gewesen, Klaus Wilkens‘ diesbezügliche Befindlichkeiten sehr genau aufschlüsseln zu können. Aber wie sich Manfred auch anstrengte, er kam zu keiner Lösung. Wilkens‘ Gesichtsausdruck wollte ihm nicht weiterhelfen. Enttäuscht legte er irgendwann das Fernglas zur Seite.
Klaus Wilkens nahm die Schachtel vom Felsvorsprung und öffnete sie. Und erneut war er eine ganze Zeit in Gedanken vertieft. Und auch diesmal schien es ihm damit nicht gut zu gehen, denn plötzlich fiel ihm die Schachtel aus der Hand auf den Boden, eine Folge stark zitternder Hände. Die Ringe verteilten sich im Umfeld der Schachtel, einige rollten die Straße hinunter. Augenblicklich sammelte sie Klaus Wilkens ein, warum eigentlich, fragte sich Manfred, das sieht doch jeder, dass es sich um wertlose Plastikimitationen handelt.
Auf einmal schien Klaus Wilkens genau zu wissen, was er zu tun hat. Er riss das Plakat herunter, faltete es zusammen, steckte Schachtel samt Inhalt in seine Hosentasche und ging geschwind, wenn auch in der Linienführung eines Angetrunkenen, des Weges. Es gab keine Blicke ins Dickicht, kein Umschauen, die Frage, ob ihn jemand beobachtete, stellte er sich nicht oder sie war ihm egal.
„Puh!“, schnaubte Manfred, wenig verwundert darüber, dass auch ihn die Sache angestrengt hatte und gerade seinen Kreislauf forderte. Er sammelte sich ein paar Minuten, bevor er aus dem Unterholz kroch und den Weg zum Hotel antrat. Es gilt sofort nachzulegen, überlegte er, denn einen Gang rauszunehmen wäre mit dem Risiko belastet, dass sich Klaus Wilkens aus dem Staub macht.
Und so, in seinem Zimmer angekommen, nutzte Manfred die wenige Zeit, die ihm bis dahin blieb, für eine Dusche und die Arbeit an seinem äußeren Erscheinungsbild, denn völlig runtergekommen konnte er bei dem, was er
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