Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Professor schlossen es nicht aus, dass die Paul Seligen in die Feder gelegten Aussagen der Wahrheit entsprachen. Wenn nicht, dann waren sie davon überzeugt, dass die Handschrift, die authentischen Teile des Briefes und die Umstände des Gesprächs Klaus Wilkens dazu verleiten würden, von einer bewussten Lüge von Paul Seligen auszugehen und nicht von einem gefälschten Brief. Bei dieser Annahme blieb aber ein Risiko. Hier hing vieles davon ab, ob und wenn ja wie lange und in welcher Intensität Klaus Wilkens und Paul Seligen nach dem Krieg noch in Kontakt miteinander gestanden hatten.
*
Schon als Embrina Magotti von „Nazi-Geschrei“ gesprochen hatte, fragte sich Manfred, ob Klaus Wilkens noch derselben Gesinnung war wie 1945. Auch die Bücher, zu deren Titel Manfred ab und zu mal einen Blick geworfen hatte, ließen die Annahme einer geistigen Kehrtwendung aufkommen. Irgendwie bestätigt das sogar sein Nervenleiden, fand Manfred. Er wollte es genau wissen, nachdem er sich wieder an den großen Tisch gesetzt hatte.
„Warum verkaufen Sie nicht die ‚Il Manifesto‘? Das Zentralorgan der KPI ist hier im Norden die meistverkaufte Zeitung“, sagte Manfred.
„Wie bitte?“
„Ich habe in meinem Leben schon schwierigere Fragen gestellt.“
Klaus Wilkens schien immer noch irritiert, einem kurzen Blickwechsel mit Embrina Magotti folgte die Lösung.
„Wir verkaufen manchmal kaum etwas anderes. Wenn Sie die Manifesto nicht gesehen haben, dann lag das daran, weil die wieder mal ausverkauft war.“
So kann man sich täuschen, dachte Manfred.
Klaus Wilkens holte ein dickes Buch aus dem Regal, ein Werk von Antonio Gramsci, den Namensgeber der hiesigen Gasse und einen Mitbegründer der KPI. Warum sollte ich ein solches Buch haben, schien Klaus Wilkens fragen zu wollen, wenn ich der KPI die Verbreitung ihrer Zeitung nicht gönne?
„Die Gefängnisbriefe“, las Klaus Wilkens den Titel des Buches vor.
„Ja, er hat sie in den zwanziger Jahren geschrieben“, meinte Manfred.
„Alles aus dem Kopf. Bücher waren ihm in der Haft nicht vergönnt.“
„Auch das Schreiben war ihm nicht erlaubt. Er tat es heimlich...“
„...und schmuggelte es heraus“, führte Klaus Wilkens zu Ende.
„Ein Schatz von Gedanken.“
Schweigen. Und zwar so lange, dass alle drei Anwesenden Zeit fanden darüber nachzudenken, ob es denn ein betretenes Schweigen war, denn man hatte ungeahnt in Erfahrung gebracht, dass man sich jenseits des bisherigen Themas etwas zu sagen haben könnte.
Langsam ist genug geschwiegen, dachte Manfred schließlich und beschloss weiterzumachen. Sofort sprach er wieder nachdrücklich und nüchtern.
„Ihnen wird es ein Stück weit wie Paul Seligen gegangen sein. Ein Frieden hatten Sie nicht mit Ihrer Vergangenheit.“
„Was heißt hatten?“, fragte Embrina Magotti.
Wieder Schweigen, diesmal unterbrach Manfred es frühzeitig.
„Alles klar.“ Manfred glaubte genug zu wissen. Klaus Wilkens hatte sich längst von der NS-Ideologie verabschiedet und er hat es sich wohl nicht einfach dabei gemacht.
*
Embrina Magotti verließ umgehend das Zimmer. Nach ein paar Minuten kam sie mit Brot, Wein, Wasser und Gläsern zurück. Manfred wollte sich gerade darüber Gedanken machen, ob ein zu freundliches Miteinander seinen Absichten entgegenstehen könnte, da meldete sich unabweisbar seine Leidenschaft für den Alkohol. Als Halbsüchtiger muss ich Prioritäten setzen, dachte er, sollte es mir zu gemütlich werden, kann ich das immer noch ändern. Er wollte sich gerade kurz bedanken, da eröffnete Embrina Magotti das Gespräch.
„Ich habe direkt nach der Schule hier als Verkäuferin begonnen. Mittlerweile ist das 15 Jahre her. Seit acht Jahren sind wir ein Paar.“
Nur her mit solchen Informationen, dachte Manfred.
„Durch ein Zufall erfuhr ich von Klaus‘ Vergangenheit. Ich war entsetzt. Ich war politisch aktiv und als junge Aktivistin beim parteiübergreifenden antifaschistischen Aktionsbündnis...“
„Was sie augenblicklich zu der Überlegung veranlasste, ihren Arbeitgeber unter Umgehung der Polizei ihrem Antifa-Bündnis auszuliefern“, unterbrach Manfred.
„So ähnlich... Woher wissen Sie das?“
„Nennen Sie es Lebenserfahrung.“
„Ich stellte Klaus. Ich kannte ihn zu diesem Zeitpunkt drei Jahre, ich hatte ihn als gebildeten Mann und fairen Chef kennen gelernt, vor dem ich Respekt hatte. Fast immer hatten wir uns nach Feierabend noch eine halbe Stunde unterhalten.“
„So etwas
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