Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Untergeschoss des humanistischen Gymnasiums und der Leichenfledderei mit den Goldringen. „Wir wüssten gern einiges mehr, Herr Wilkens. Deswegen sind wir hier.“
„Mit den Ringen habe ich nichts zu tun.“
„Da haben wir ganz andere Informationen.“ Manfred griff kurz an seine Armbanduhr, dann sprach er langsam: „Sie haben Abscheuliches getan. Und als Zugabe haben Sie die Ringe der Gefangenen geraubt. Und nicht nur Ringe!“
„Das ist nicht wahr!“
„Dann lesen Sie das das hier!“ Manfred holte aus seiner Tasche ein Kuvert. „Ich gebe Ihnen beiden jeweils eine Kopie ein und desselben Briefes. Dann geht das Lesen schneller. Ich werde schließlich im Akkord bezahlt.“
Die Lektüre dauerte eine Zeit. Manfred steckte sich eine Zigarette an. Er sah keinen Aschenbecher. Liegt dem Hausherr etwas an Sauberkeit, wird er mir einen hinstellen, dachte er.
Irgendwann hatte Klaus Wilkens alles gelesen. Sein Kopf wanderte langsam hin und her, seine Augen wussten nicht, woran sie sich festhalten sollten. Dann fasste er sich mit beiden Händen an den Kopf, mit den Ellbogen stützte er sich auf den Tisch. Embrina Magotti kam samt Stuhl zu ihm rüber, stellte sich hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern.
Bei jedem Wort hörte man den schweren Atem, als Klaus Wilkens sagte: „Der Brief lügt. Ich habe mich nicht bereichert.“
Manfred zog an seiner Zigarette, schaute auf die Glut, als er sagte: „Herr Wilkens, es ist völlig egal, wie glaubwürdig ich ihre Äußerung einschätze. Ich bin mir aber sicher, dass andere den Brief von Paul Seligen für sehr glaubwürdig halten würden.“
Embrina Magottis Blick war jetzt stechend. „Wem nützt das eigentlich, einen kleinen Offizier, der damals knapp über 20 Jahre war und nie etwas anderes gehört hatte als Nazi-Geschrei, wem nützt das eigentlich, denjenigen heute der Öffentlichkeit zum Fraße vorzuwerfen?“
„Ich habe Ihnen ja schon gesagt. Es geht uns nicht vordergründig um die Person... in diesem Fall.“
Embrina Magotti schien das nicht sonderlich zu beruhigen, ihr Blick blieb unwirsch.
„Dass die Frage der persönlichen Schuld“, fuhr Manfred fort, „eine sehr komplizierte sein kann, wissen wir. Auch wenn wir da, was Herrn Wilkens betrifft, möglicherweise zu einer anderen Antwort kommen als Sie.“ Manfred nahm erneut einen Zug von seiner Zigarette, die Asche war mittlerweile deutlich länger als der ungerauchte Teil. „Aber wir sollten keine nutzlosen Diskussionen führen... Ich komme lieber auf den Punkt.“
Zeitgleich hoben Embrina Magotti und Klaus Wilkens den Kopf. „Wenn Sie uns helfen“, schloss Manfred ab, „gibt es keine Öffentlichkeit.“
Manfred ging zum Fenster. Vorsichtig warf er die Zigarette hinaus. Einen Moment schaute er der Glut hinterher. Sogleich hörte man das Jaulen eines Hundes.
*
Bei dem Brief, den Manfred Klaus Wilkens und Embrina Magotti vorgelegt hatte, handelte es sich um eine Fälschung. Der Professor hatte kraft seiner Verbindungen ein Schreiben in der Handschrift von Paul Seligen anfertigen lassen, als Vorlage hatte dessen Brief von 1973 gedient. Fälschung und Original waren nicht nur bezüglich des Adressaten und des Empfängers identisch, auch inhaltlich gab es Überschneidungen: Paul Seligen entschuldigt sich bei Adolf Wegemann, dass er im Zweiten Weltkrieg als damaliger Schulleiter des humanistischen Gymnasiums gegenüber ihm und anderen Lehrern als übereifriger Nationalsozialist in Erscheinung getreten war. Hierbei geht Paul Seligen auf seine unrühmliche Rolle gegenüber der Keller-Gestapo ein und dabei auch, wie er Adolf Wegemann zu einem bizarren Entschuldigungsschreiben gegenüber Klaus Wilkens gezwungen hatte.
Soweit die Übereinstimmung von Fälschung und Original, nun begann die Dichtung, auch wenn sich die Zeilen dabei sehr wohl am Sinn des Originals orientierten. Paul Seligen berichtet über unberechenbare Verhaltensweisen seines damaligen Freundes Klaus Wilkens als Leiter der Keller-Gestapo. Wilkens hätte sich die Wertgegenstände der Gefangenen angeeignet, mit denen er sich nach dem Krieg eine neue Existenz in Südamerika aufbauen wollte. Die Nazi-Netzwerke hätten es allerdings abgelehnt, ihm zu einem der begehrten Plätze auf der sogenannten Klosterroute zur Flucht zu verhelfen, dafür wurde er nicht als bedeutend genug eingeschätzt. „Wilkens blieb in Klausen hängen, dort hat er sich, wie ich vermute, etabliert“, endet der gefälschte Brief.
Manfred und der
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