Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
soll das, Ilona? Wir telefonieren alle paar Tage, reden über alles Mögliche, nur nicht über uns. Schneide ich mal was an von unserem Wiedersehen, dann übergehst du das mit einem Redeschwall über irgendwas anderes. Was soll das?“
Manfred wollte dazu etwas hören, aber Ilona schwieg. Bittsteller ist Scheiße, fühlte Manfred daraufhin und wütend entschloss er sich, Ilonas Verhalten persönlich zu nehmen. Am anderen Ende der Leitung hörte man seine Hand auf den Tisch donnern, als er stachelte: „Alles klar, Ilona. Danke für den Fick, ich...“
„Manfred! Bitte nicht so reden!“
„Schau mal einer an... Und was ist mit meinen verletzten Gefühlen? Sag mal, merkst du noch was? Wir haben eine irre Geschichte, sehen uns nach zwölf Jahren wieder, haben eine hochemotionale Begegnung und dann behandelst du mich wie den Postboten deiner Großmutter.“
Das Letzte war nicht so gut, dachte Manfred. „Also gut, Ilona“, fuhr er fort, „wenn wir der Meinung sind, dass das Leben absurd ist, dann macht es Sinn, dass ich mich jetzt zum Geräuschpegel des Presslufthammers äußere, mit dem ich arbeite und du...“
„Manfred!“, schellte Ilonas Stimme laut wie ängstlich durch den Hörer. „Du hast Recht. So darf ich nicht mit dir umgehen.“
Jetzt war es Manfred, der schwieg. Ilona war am Zug. „Du hast mich zum Nachdenken gebracht. Gib mir etwas Zeit.“
*
Manfred hatte viele Nächte gegrübelt, welche Resultate Ilonas Nachdenken wohl nach sich ziehen würden. Bald nach dem Telefongespräch hatte er eine Postkarte erhalten, in der Ilona ihn zum Kaffee und Kuchen einlud. Wenn ihm der Termin nicht zusagt, hieß es in der Einladung, möge er bitte anrufen. Ansonsten also nicht, schloss Manfred daraus.
Zum verabredeten Tag fuhr Manfred frühzeitig zum angegebenen Treffpunkt. Er mied die Autobahn, quälte sich und seinen Kadett auf kleinen Straßen über den Taunus in den Naturpark Nassau, wo er zwei Stunden vor der Verabredung die kleine Ortschaft erreichte, in der das von Ilona genannte Waldhotel lag. Zum Spazierengehen hatte Manfred keine Lust, zum Lesen auch nicht. Eigentlich hatte er zu gar nichts Lust. Er setzte sich in eine Ecke der weiträumigen wie verwinkelten Terrasse der Herberge und bestellte sich etwas zu essen. Danach schaute er in die Bäume. Fragen des Hotelpersonals nach weiteren Verzehrwünschen beantwortete er ohne Hochzuschauen mit einem knappen „später“.
Dann kam sie. Pünktlich wie die Uhr, dachte Manfred. Eine penible Beachtung der Uhrzeiten lernt man wohl in der Schule, eine Institution, die Pünktlichkeit wahrscheinlich als den wertvollsten Teil ihrer Identität betrachtet, dachte Manfred weiter, wobei er sich fragte, warum er gerade solche Lust verspürte, gehässig zu sein. Wenigstens habe ich doch zu irgendetwas Lust, genügte ihm dann als Antwort.
„Du hast dich ganz in die Ecke gesetzt“, sagte Ilona.
„Ja.“ Das ist wahr und ganz bestimmt eine Beobachtung wehrt, ging Manfred durch den Kopf. Soll ich meiner Lust zur Gehässigkeit nachgeben und ihr das jetzt einfach sagen, fragte er sich.
„Wir bekommen dieses Jahr ganz bestimmt einen guten Sommer“, äußerte sich Ilona.
„Das ist nicht ausgeschlossen.“ Zur Begrüßung hatte sie lediglich ein verschmitztes Lächeln gezeigt, eine Körperberührung hatte es nicht gegeben.
„Zwei Mal ein Kännchen Kaffee und zwei Stück Apfelkuchen bitte“, sagte Ilona zur herbeieilenden Bedienung. „Du bist eingeladen.“
„Alles klar“, nickte Manfred. Ein Danke geht jetzt nicht, dachte er.
Eine Wespe näherte sich und düste nach einer kurzen Umkreisung sofort weiter. Ein Schmetterling beschleunigte im Vorbeiflug deutlich sein Tempo. Die Kellnerin brachte die Bestellung und verschwand im Nu und ohne Guten Appetit zu wünschen.
Ahnen hier etwa alle was, fragte sich Manfred.
Ilona wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da legte Manfred mit einer schnellen Bewegung seinen Finger an den Mund. Ilona guckte irritiert, kam der Aufforderung aber nach und schwieg. Als sie nach einer ganzen Zeit erneut zum Sprechen ansetzen sollte, wiederholte Manfred sein Fingerzeichen und flüsterte: „Noch nicht. Ich bitte darum.“
Manfred wollte Zeit gewinnen. Das war bitter nötig, denn zurzeit tobte lediglich die Lust nach Zerstörung in ihm, und das war es nicht, was er wollte. Zudem sollte die Zeit des Schweigens auch bei Ilona eine Wirkung entfalten, denn dieses stille Gegenübersitzen, in dem sich mehrmals für kurze oder
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