Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
etwas längere Zeit die Blicke der beiden trafen, würde dazu beitragen, dass Ilona ihre fast geschäftliche Art, in der sie ihm aus guten Gründen gegenübertreten wollte, nicht ewig durchhalten konnte. Vor allem nicht, nachdem Manfred ihr im Folgenden den Wind aus den Segeln nahm.
„Ilona?“, begann er.
„Ja?“
„Es ist alles in Ordnung. Du kannst dich nicht von Werner trennen. Sachzwänge treiben dich, Ängste. Nicht zuletzt die Angst vor dem Verlust deines materiellen Wohlstands.“
Ilona schien durch Manfred hindurchzuschauen.
„Und leider kannst du auch kein heimliches Verhältnis mit mir führen. Du würdest das gern, aber du kennst dich gut und weißt, dass du so etwas nicht leben kannst. Es würde dich zerreißen.“
Jetzt fand Ilonas Blick ganz Manfreds Augen.
„Und weil du weißt, dass mich das todunglücklich macht, drängt dich dein Verstand in die Richtung, mir gegenüber kühl aufzutreten. Weil sonst noch alles viel schwieriger wird. Deswegen willst du mir heute auch mitteilen, dass wir uns nie wiedersehen dürfen.“
Starr war jetzt Ilonas Blick. Sie wird einerseits erleichtert sein, andererseits der Erleichterung aber nicht trauen, dachte Manfred.
„Ilona... Ich will nichts weiter von dir hören. Sage mir nur, dass es so ist.“
Ilona legte ihre Stirn in ihre flache Hand und schloss kurz die Augen. Sie setzte sich aufrecht in den Stuhl und sagte mit Blick in die Landschaft: „Du bist ein guter Beobachter.“
Alles klar, dachte Manfred, wie so oft. „Wir werden uns übrigens in der Tat nicht wiedersehen. Das Leiden würde sich nur konservieren“, sprach Manfred jetzt schnell, denn eigentlich wollte er nun etwas ganz anderes von Ilona. Er wollte Vergeltung.
„Ilona?“, machte er es sodann mit stechenden Augen und einer anschließenden Pause betont spannend. „Woher weißt du eigentlich so genau, wie todunglücklich mich das alles macht?“
Noch verrät ihr Blick nichts von Bedeutung, erfasste Manfred. Aber gleich bekommt sie ihr Innerstes aufs Tablett serviert, denn Wiederholungen treiben die Seele, etwas, was Ilona gleich heftig erfahren wird, sinnierte Manfred selbstbewusst.
Fast zeigte sein Gesicht ein Grinsen, als er von Neuem fragte: „Woher weißt du eigentlich so genau, wie todunglücklich mich das macht?“
Ihre Augen werden sich gleich erleichtern wollen, denn ihr Gesicht verfasst sich gerade neu, um es höflich zu formulieren, erkannte Manfred. Hihi, dachte Manfred noch, bevor er die Frage selbst beantwortete: „Weil du mich liebst, Ilona.“
Als Ilona kurz darauf nach einem Taschentuch suchte, war Manfred bereits aufgestanden.
1981 I
Dass ihm eine Sitzblockade keine Angst machen und er sich darüber hinaus noch ganz andere Sachen vorstellen konnte, hatte Manfred zu Ilona nicht einfach so gesagt, wie sich schon bald zeigen sollte.
Mit vielen Leuten rüttelte Manfred am Zaun. Kein Gartenzaun, sondern ein fast haushohes Stahlgitter, das alle paar Meter an einem wasserrohrdicken und tief in die Erde eingelassenen Betonpfahl befestigt war. Kaum zu glauben, dass man von Menschenhand das Gitter des Atomkraftwerks niederreißen könnte.
„Ein Wille kann Berge versetzen“, hatte ein Aktivist gebrüllt, als die Entscheidung, ob man die Aktion wagen sollte, noch nicht gefallen war. Der Spruch hatte einiges Gekicher erhalten, aber nun war Schluss mit Lustig. Die Augen der vermummten Männer und Frauen, die sich an dem Gitter zu schaffen machten, zeigten Entschlossenheit. Ab und zu feuerten sie sich gegenseitig an , um sich Mut zu machen.
Aber von einer Angst, die sie alsbald zu lähmen drohte, konnte keine Rede sein, fiel Manfred auf, als er mit seinen Leuten unter „Hau Ruck“-Rufen gegen den Zaun arbeitete; die Gewissheit, das Richtige zu tun, wuchs mit jedem Moment, in dem die Situation an Brisanz gewann; die anrückenden Wasserwerfer der Polizei auf der anderen Seite des Zaunes erschienen weniger als eine Bedrohung, sondern eher als Bestätigung ihrer Überzeugung, dass Atomkraftwerke ein Verbrechen sind. Der direkten Konfrontation mit der Staatsmacht ganz nah, fetzten alle möglichen Gedanken durch Manfreds Kopf: Hunderttausende von Jahren strahlt der Atommüll, so lange müsste er unter Bewachung eingeschlossen werden; Unfälle sowie Betriebsunterbrechungen beweisen eine nicht beherrschbare Technologie; bald würde es kaum noch eine Stadt geben, die nicht in Reichweite eines Atomkraftwerkes liegt ; der Abbau des endlichen Rohstoffs Uran
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