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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Gohlke
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verursacht gewaltige Umweltschäden. Und die Auseinandersetzung um die AKWs vergiftete bereits die Herzen der Menschen. Bei dem letzten Gedanken stockte Manfred und trotz aller körperlichen Anspannung meldete sich die Frage: War vielleicht auch sein Herz längst vergiftet?
    Plötzlich wirkte diese Frage, die ihm gar nicht passte, potenzierend auf seine Muskelkraft. Der Zaun begann heftig zu wackeln und einige Momente später krachte er mit lauten Getöse auf den Erdboden.
    Mit dem folgenden Jubel bestätigten sich die Aktivisten der Richtigkeit ihrer Handlung; der Glaube, die Wahrheit auf ihrer Seite zu haben, trieb die Aktivisten zu neuen Ufern und im Nu war die Lücke, die durch das entschlossene Agieren der Demonstranten geschaffen wurde, mehrere Dutzend Meter lang. Das Ziel war damit erreicht; ein Sturmlauf gegen das AKW war von den Aktivisten nicht vorgesehen. Es sollte lediglich so viel Zaun wie möglich eingerissen und danach sofort der Rückzug in die Wälder genommen werden. Irgendeiner, vermutete Manfred, würde gleich „Sieg!“ schreien wollen und bei diesem Gedanken bekam er dann doch noch das zu spüren, was ihm bisher erspart geblieben war: Angst! Denn er musste bei diesem Wort „Sieg“ jählings ein „Heil“ mitdenken. Was soll der Scheiß, haderte Manfred mit sich, wütend über seinen Gedanken. Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun! Bevor er an dieser Einschätzung zweifeln konnte, wurde er vom Gang der Ereignisse mitgerissen.
    Mit einem Sieg sollten die folgenden Begebenheiten dann nichts zu tun haben. Mit einem Pyrrhussieg dagegen sehr wohl, denn mit dem auf breiter Front zerstörten Zaun war der Weg für die Gesetzeshüter Richtung Demonstranten frei. Die Wasserwerfer stoppten nicht vor dem zerstörten Zaun, um sich mit einer Vertreibung der Demonstranten zufrieden zu geben, sondern sie hielten ihren Kurs unerbittlich weiter bei. Gemächlichen Tempos, aber unaufhaltsam. Aus den nachfolgenden Mannschaftsbussen sprangen Horden von Polizisten, positionierten sich in Viererreihen und marschierten parallel zu den Wasserwerfern Richtung Demonstranten.
    Flucht war nun eigentlich die einzige Taktik, die sich für die Demonstranten anbieten konnte. Der Rückwärtsgang wurde jedoch nicht von allen aufgenommen, einige Aktivisten schätzten die Situation zwar als Herausforderung, aber nicht als Grund zur Aufgabe der Vorwärtsstrategie ein; beseelt von ihrer Naherfahrung erfolgreicher Zerstörung machten sie sich weiterhin am Zaun zu schaffen.
    Manfred gehörte zu diesen besonders kühnen Kämpfern und seine Motivation schien besonders hoch. Dass die Polizisten eine Energieerzeugung verteidigten, die er als apokalyptisch einschätzte, teilte er mit allen anderen Zaunkämpfern; wesentlich schwerer für seine Risikobereitschaft wog im Moment, dass ihm die Polizisten, die da gleichschreitend, in Uniform, mit Helmen und bewaffnet mit faustdicken Knüppeln auf ihn losmarschierten, wie die Schutzmänner erschienen, die einige Jahrzehnte früher das staatliche Gewaltmonopol in Deutschland repräsentierten. „Ge-sta-po“ hämmerte es in seinem Kopf, ganz im Gleichklang der Schritte, die sich mittlerweile bis auf einige Dutzend Meter genähert hatten, Schritte, die alsbald deutlich schneller wurden infolgedessen, dass immer mehr Demonstranten die Flucht ergriffen.
    Manfred blieb hingegen wie gelähmt stehen, gefangen von den Gedanken, die sein Hirn materten. „Alles Scheiße“, resümierte Manfred kurz, bevor er das erste Mal einen Gummiknüppel auf seinen Motorradhelm knallen hörte, hart genug, um ihn augenblicklich zu Boden fallen zu lassen, was zwei Polizisten jedoch nicht von weiteren Schlägen abhielt. Es folgten Hiebe gegen den Oberkörper, Tritte gegen den Bauch; beim Schlag in seinen Unterleib glaubte Manfred trotz der lauten Umgebungsgeräusche ein Lachen hören zu können. Ein Faustschlag ließ ihn Blut und einen losen Zahn in seinem Mund spüren; ein weiterer Knüppelschlag auf seine Brust führte zum kurzzeitigen Atemstillstand, gefolgt von einem stechenden Schmerz – eine Rippe war gebrochen. Manfred war verwundert, wie bewusst er alles wahrnehmen konnte, einschließlich seines fatalistischen Gleichmuts: So ist das halt bei Demos mit der Polizei; das wusste er aus einer Vielzahl von Erfahrungsberichten, ob sie nun aus Brokdorf, Gorleben, Grohnde oder Wyhl stammten. Zuletzt überkam ihn noch der Gedanke, dass die Knüppelorgien wahrscheinlich in den zwanziger Jahren des 21.

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