Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Anrufer unterbrochen. Irgendwann kam er wieder zu Wort. Einem „Also gut. Alles klar“, folgte das Klicken des Telefonhörers und Manfreds Gang zurück auf die Matratze.
„Was war das denn? Ein Gespräch hört sich anders an.“
„Kann ich dir nicht sagen, Conny. Ein intimes Verhältnis haben wir ja nicht“, flachste Manfred. „Aber war nicht schlecht, wie sie das erzählt hat. Was du schon erledigt hast, habe ich jetzt noch vor mir.“
Jetzt war es Conny, die laut lachte. „Na, dann mal ran... und im Ernst?“
„Elisabeth.“
„Na endlich. Sie hat dir erzählt, dass Ilona leidet, weil sie dich nicht sieht.“
„Woher weißt du das?“
„Weil es keine Alternative dazu gibt. Warum sollte Elisabeth dich sonst anrufen. Um sich mit dir etwa über den Fetischcharakter der Warengesellschaft zu unterhalten?“
Manfred musste wohlig grinsen, er liebte Ilona, aber er liebte auch Conny. „Elisabeth erzählte, dass Ilona derzeit immer von der Würde redet. Von der Würde ihres Mannes, ihrer Kinder, ihrer eigenen und sogar von meiner. Da wusste Elisabeth dann, dass sie mich anrufen muss. Damit ich Ilona davor rette, tendenziell verrückt zu werden. Verstehst du, Conny? Elisabeth hat ‚tendenziell‘ gesagt. Das passt nicht zu ihr. Ich glaube, wir haben die immer unterschätzt.“
„Vielleicht hat sie ja irgendwann die Langeweile gepackt und verbringt jetzt regelmäßig eine Nacht in einer subversiven Kneipe... Was willst du tun?“
„Wir haben uns aufgrund unserer gemeinsamen Langeweile zu einer subversiven Kneipennacht verabredet...“ Manfred wartete, bis Conny zu Ende gekichert hatte. „Ich werde übermorgen in ein Café gehen, in dem wie zufällig auch Elisabeth und Ilona sitzen.“
„Das ist doch albern.“
„Passt doch zu unserer Unterhaltung.“ Mit etwas Verzögerung meinte Manfred noch: „Das ist übrigens eine gute Idee...“
*
Großraumrestaurant ist nicht gleich Großraumrestaurant. Ein Speiselokal, das am Beginn der 1980er Jahre die Wartenden an einem Bahnhof zu verköstigen anbot, besaß in aller Regel den Charme eines Reibeisens: arm an Licht, schwer an Vorhang, schlecht an Geruch, dunkelbraun an Mobiliar und der Mangel an höflichen Personal konnten den Aufenthalt zu einem wahren Stimmungskiller machen. Wer nicht drohte vor Hunger umzukippen, schnappte sich lieber ein Getränk aus einem Automaten und ging bis zur Zugankunft den Bahnsteig auf und ab.
Ganz anders wirkten die großen Restaurants, die in die innerstädtischen Kaufhäuser integriert waren. Auch wenn es in Bezug auf Vorhang und Mobiliar durchaus Ähnlichkeiten mit den Bahnhofrestaurants gab, konnten sie einen gewissen Wohlfühlfaktor vorweisen. Gewöhnlich waren sie in den oberen Stockwerken untergebracht, von denen man einen weiten Blick auf das Straßengeschehen der oft erst frisch gebauten Fußgängerzone hatte. Die Bewirtung war freundlich. Speisen und Getränke bedienten zwar lediglich den allgemeinen Geschmack, das aber in einer Qualität, die alle zufriedenstellte. Nicht selten engagierte das Kaufhaus auch einen Klavierspieler oder gleich eine ganze Musikband, die den halben Tag lang jede Viertelstunde einen Schlager spielten.
Und diese zumeist sehr gut angezogenen männlichen Musiker sorgten zusammen mit einer umfassenden Kuchentafel in den Nachmittagsstunden für einen reichen Besucherstrom. Wobei die spezifische Zusammensetzung und das Befinden der Kundschaft die Kaufhausrestaurants zum kommunikativsten, lebendigsten und zuweilen auch fröhlichsten Ort der Stadt machen konnten. Um 15 Uhr besetzten fast ausnahmslos gut gelaunte Frauen im weiten Spektrum des mittleren Alters die Tische und erfreuten sich bei leidenschaftlichen Unterhaltungen an ihrer Lieblingsspeise Kuchen. Als Grundlage der Gespräche dienten die Artikel und Bilder der Frauenzeitschriften. Als Klassiker und gehobene Pflichtlektüre galt die Wochenzeitschrift „Frau im Spiegel“. Im Frühling, so wussten es die Kellner untereinander facettenreich zu diskutieren, war die Stimmung der weiblichen Gäste am besten.
Es war Punkt 15 Uhr an einem Maitag, als Manfred Semmler unter den Klängen von Heinos „Ja, ja, die Katja“ das Kaufhausrestaurant betrat. Eine ganze Zeit blieb er in der Nähe der gläsernen Eingangstür stehen. Etwas unsicheren Blickes, der Sympathie ergattern wollte, schaute er durch den großen Saal. Er trug einen erstklassig sitzenden schwarzen Anzug mit weißem Hemd und breiter Krawatte. Seine neumodischen, leicht
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