Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Polizei offenbart hatte.
Die Identifizierung des Toten war kein Problem gewesen. Wie es für einen Selbstmörder typisch ist, hatte sich Werner keine Mühe gemacht, sich seiner Schlüssel und Ausweise zu entledigen. Sein Auto war auf einem Parkplatz gefunden worden, den schon andere Selbstmörder gewählt hatten, die den Sprung von der Mintarder Brücke für einen passenden Ort ihrer Absichten hielten. Nachdem Werner Karbert das letzte Mal gesehen worden war, muss er zwei Tage herumgeirrt sein, vermutete die Polizei. Wahrscheinlich fuhr er mit seinem Auto einfach rum, „sowas kommt vor bei Selbstmördern. Der Tat geht fast immer die Isolation voraus. Dabei steigern sie sich dann in was hinein“, gab der Polizeibeamte Ilona lapidar zur Auskunft. „Die Idee, sich umzubringen, nimmt Fahrt auf“, glaubte der Beamte ergänzen zu müssen, von dem Ilona auch erfuhr, dass „der Alkohol, den er mehr als 48 Stunden vorher in dieser speziellen Gaststätte eingenommen hatte, wohl die letzte Droge war, die er eingenommen hat. Im Blut war jedenfalls nichts mehr zu finden, da ist nach so einer Zeit alles raus.“
Mit der Erwähnung der „speziellen Gaststätte“ hatte der Staatsdiener dann etwas genannt, was Ilona mehr als alles andere aufhorchen ließ. Denn es handelte sich dabei um die Nachtfalterbar, ein Bordell, das sich in Bonn in verschiedenen Männerkreisen großer Beliebtheit erfreute, ob nun bei Unternehmern, die gern einen betriebsamen Kontakt zur Halbwelt pflegten oder bei Politikern mittlerer Bedeutung des deutschen Bundestages, die sich in der Bar mit und zuweilen auch beim Vergnügen darüber berieten, wo man auch jenseits der Politik richtig und vor allem noch mehr Geld verdienen kann. Und in dieser Bar, in der alle Besucher stillschweigend darüber hinweg sahen, dass einige Prostituierte unmöglich volljährig sein konnten, hatte sich auch, wie Ilona zur Kenntnis nehmen musste, ihr Mann Werner Karbert aufgehalten. Nicht regelmäßig, aber hin und wieder. „Zuletzt, Frau Karbert, aber kaum noch. Denn“, fügte der Polizeibeamte hinzu, „die Spedition Ihres Mannes steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Ihr Mann hatte Angst, dass das bekannt wird. Irgendjemand ist vor kurzem an einem Wochenende in sein Büro eingebrochen und hat sich die Unterlagen angeschaut. Ein Mitarbeiter, der am Sonntagabend aufs Gelände kam, sah jemanden mit der Taschenlampe im Büro. Der Mann floh, man entdeckte nur geöffnete Bilanzbücher – wahrscheinlich hatte ein Konkurrenzunternehmen einen Privatdetektiv rumspionieren lassen, wir gehen der Sache weiter nach. Ein Duplikat des Büroschlüssels steckte im Schloss; der Einbrecher muss die Möglichkeit gehabt haben, an die Schlüssel zu kommen und sie nachzumachen. Haben Sie vielleicht einen Schlüssel für das Büro Ihres Mannes? Ist im Moment aber vielleicht auch nicht so wichtig.“
Für die Polizei lag es mehr als nur im Bereich des Möglichen, dass der Mangel an Geld Werner Karbert in den Freitod getrieben hat. „Das kommt im mittelständischem Gewerbe oft vor. Meistens hat der Besitzer aus den Liquiditätsproblemen ein Geheimnis gemacht, denn wenn sich der Geldmangel rumspricht, kann das das Geschäft erst recht kaputt machen“, erklärte der Beamte. „Und immer ist die Umwelt baff. Die Berichte über Selbstmorde von Unternehmern und Gewerbetreibende sind voll von Angehörigen, die einen Freitod für unmöglich gehalten hatten.“
„Hab‘ ich doch gar nicht“, entgegnete Ilona daraufhin.
Das vom Amts wegen geforderte Motiv für den Freitod war gefunden, eine komplexere Erklärung benötigte die Polizei nicht angesichts dessen, dass die Geschichte der Mintarder Autobahnbrücke voll von Selbstmördern ist. „Ob noch etwas hinzukommt, was im Privaten anzusiedeln ist, werden Sie besser wissen“, schloss der Beamte seine Ausführungen ab.
Weitgehend kommentarlos hatte sich Ilona alles angehört. Den Anspruch, im Moment zu irgendetwas eine belastbare Meinung zu haben, besaß sie nicht. Die Erledigung der Beerdigungsformalitäten hatten sie viel Kraft gekostet. Sie hatte sich dabei der Würde ihres Mannes ganz verpflichtet gefühlt, ein Vorsatz, der für sie vor allem bedeutete, jeden zum Begräbnis einzuladen, der mit ihrem Mann mal etwas zu tun gehabt hatte und es bei der Trauerfeier an nichts, vor allem an keinem alkoholischen Getränk fehlen zu lassen. So wurde die Beerdigung bei Einhaltung aller Konventionen auch zu einem – zuweilen kurvigen – Schaulaufen
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