Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Problem“, murmelte Manfred zurück.
Das folgende Lachen der beiden war zu laut, um überhört zu werden. Der Professor nutzte die Störung, um seine Veranstaltung voranzubringen.
„Ich höre, wir haben eine Referatsanmeldung“, sagte der Lehrende mit Blick zu Manfred und Jürgen.
Die Aufforderung kam zu spontan, als dass Manfred hätte nervös werden können. „Ich würde gern über ein Gymnasium meiner Heimatstadt arbeiten.“
„Das ist nicht ungut“, gab der Professor zum Ausdruck. „Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass wir das Thema am Beispiel sehr überschaubarer Bereiche aufarbeiten sollten. So konkret wie möglich.“ Der Professor nahm seinen Kugelschreiber in die Hand und fragte: „Sie haben schon geklärt, dass die Literaturlage so ist, dass sie etwas Aussagekräftiges erzählen können?“
„Ich kann mich auf jeden Fall auf eine Festschrift stützen.“
„Die“, fragte der Professor ungläubig, „wirklich aussagekräftig ist?“
„Ja“, antwortete Manfred sicher. „Über die Zeit des Nationalsozialismus steht darin nämlich kein einziges Wort.“
Der Professor grinste, er war jetzt wie verwandelt. „Ich merke schon, Sie haben eine Idee, wie Sie den Gedächtnisverlust des Autors der Festschrift erklären können. Und auch, wie Sie uns trotz ihrer bisher nur bescheiden zur Verfügung stehenden Schriftmaterialien etwas zu dem Thema sagen werden. Wann gedenken Sie das Referat zu halten?“
„In drei Wochen. Ich kriege das hin, ich mache bis dahin nichts anderes.“
Der Professor schielte durch seine Brille. „Und bei ihrem Tatendrang haben Sie sicher auch schon geklärt, welche Kommilitonen Ihnen dabei helfen sollen, Herr ...
„ ... Manfred Semmler“
„ Herr Manfred Semmler“, wiederholte der Professor und schrieb den Namen auf.
„Jürgen, mein Nebenmann, macht mit.“
„Auch hier bitte ich um den vollständigen Namen.“
Jürgen kam der Bitte nach.
„Und weiter?“, fragte der Professor.
„Mehr sind wir nicht.“
„Das geht nicht. Ich hatte Ihnen erklärt, warum ich Gruppenreferate zu dritt bevorzuge.“
Der Professor wusste, was zu tun ist. „Will jemand unsere beiden Kommilitonen unterstützen?“
Niemand meldete sich. Der Professor wollte gerade erneut zum Sprechen ansetzen, da teilte sich doch noch jemand mit. In der vorletzten Reihe hob sich ein Arm.
„Ich kann das machen“, meldete sich eine weibliche Stimme. „Ich komme aus derselben Stadt wie Manfred Semmler. Mein Name ist Ilona, Ilona Jakobs.“
„Wunderbar“, kommentierte der Professor.
Manfred fiel aus allen Wolken.
*
Die drei waren die Letzten in der Cafeteria der Universität. Das nur schwach leuchtende Licht und der mit Flugschriften, Pappbechern und einem übergroßen Aschenbecher vollgestellte Tisch taten dem Ambiente des großen Raumes gut. Mittlerweile hatte sich Manfreds Aufregung gelegt; das Wiedersehen mit Ilona hatte seinen Zauber verloren: Ilona studierte zwar keine Soziologie, sie benötigte für ihr gerade aufgenommenes Lehramtsstudium in Deutsch und Geschichte aber den Nachweis eines erfolgreich abgehaltenen Referats am Institut für Sozialforschung. Ihr Weg zur Aufnahme eines Studiums hatte sich für sie direkt nach der Einschulung ihrer Kinder aufgetan. Ilona hielt sich nur montags und dienstags an der Uni auf, die andere Zeit war sie bei ihrer Familie in Bonn.
Der Kaffee war leer, Nachschub musste her. Der Tresen hatte gerade geschlossen, aber da vor kurzem riesige Kaffeautomaten aufgestellt worden waren, stand bald erneut das koffeinhaltige Heißgetränk auf dem Tisch. Jürgen rührte ungeduldig in seinem Becher, obwohl es gar nichts zu rühren gab, weder hatte er Milch noch Zucker genommen. Er wäre gern schon längst weg gewesen. Gerade wollte er Ilona sagen, was er mit Manfred abgemacht hatte, als Manfred es selbst aussprach.
„Jürgen wird nicht mitarbeiten. Beim Referat wird er einfach etwas von uns vorlesen. Er muss Geld verdienen und seine Hausarbeiten vom letzten Semester noch fertig schreiben.“
Einen Moment zögerte Ilona mit der Antwort, dann sagte sie: „Klar, in so einer Situation kann jeder mal stecken. Ich hoffe, uns hilft auch jemand, wenn uns mal alles über den Kopf wächst.“
„Dir ganz bestimmt, bei mir ist das nicht nötig. Ich bin kein Student, ich gehe nur zu ein paar Veranstaltungen, die mich interessieren.“
„Darf man das denn, wenn man nicht immatrikuliert ist?“, fragte Ilona.
Jürgen und Manfred schauten sich ungläubig an,
Weitere Kostenlose Bücher