Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
einige Mühe gegeben angesichts dessen, dass die Gäste ausdrücklich aufgefordert waren, sich die Glückwunschkarten, die oft mit kreativen Sinnsprüchen und zuweilen auch mit kleinen Erzählungen versehen waren, bei Interesse ausführlich anzusehen. An den Wänden hing eine Sonne mit der Unterschrift „Gorleben soll leben“, die sowohl Ilonas leidenschaftliches Engagement gegen Atomkraftwerke als auch die Bedeutung des Ortes für die gemeinsame Geschichte des Liebespaars würdigte. Daneben zeigte ein großes Foto Manfreds Zimmer in der Frankfurter Wohngemeinschaft; Ilona hatte diesen Raum gemocht und wollte trotz Manfreds anfänglichen Widerstand auf keinen Fall auf dessen Ablichtung verzichten. Ein anderes Foto zeigte Ilona beim Unterrichten, womit das Glück dargelegt wurde, das der Beruf für Ilona bedeutete.
„Originell ist was anderes“, kommentierte Manfred Ilonas Anstrengungen, dem Geschenkzimmer eine dem Ereignis angemessene Note zu geben. Fast empfand er die Darbietungen als unangenehm, ein Gefühl, dem er aber nicht zu viel Raum gab; letztendlich verbuchte er die Dekoration als „völlig egal, wenn Ilona das so haben muss“, wie er nach Eintritt in den Raum zu sich selbst sprach. Was ihn hier wirklich interessierte, waren die Geschenke.
Genaue Erwartungen hatte er nicht, jedoch hegte er den Verdacht, dass die Präsente sich in der Tat wiederholen und vor Langeweile gegenseitig überbieten könnten. Manfred vermutete neben Mikrowellen allerhand andere Küchengeräte. Dazu befürchtete er Nippes aller Art. Manfred stöhnte leise bei der Aussicht auf Biederhaftigkeiten, als er sich ans Auspacken der ersten Geschenke machte.
Er fragte sich gerade, was ihn bei seinen bescheidenen Erwartungen überhaupt so neugierig ins Geschenkzimmer getrieben hatte, als er bereits das dritte Paket öffnete, dessen Inhalt er unmöglich einen Namen geben konnte. Irgendetwas mit dem Schälen, Mischen, Aufbereiten von Früchten und Gemüse wird es zu tun haben müssen, konstatierte er und entschloss sich, solche Präsente auf der linken Seite des Riesentisches zu stapeln. Auf die rechte Seite wollte er all jenes schichten, worüber er sich, am besten wie ein kleines Kind, freuen konnte. Tief in ihm meldete sich der Wunsch nach einer Modelleisen- oder Carrerabahn. Er spürte, dass er sogar an ein Modell des Kampfpanzers Leopard denken musste. Römisch zwei, fiel ihm dann auch noch ein.
Bald war das letzte Präsent ausgepackt, ohne dass ihn ein Geschenk zu überraschen wusste. Er blickte zu seinem abgestellten Whiskey, begab sich den kleinen Schritt dorthin, schüttelte leicht das breite Glas, guckte tief hinein und trank einen großen Schluck des schöpferischen Getränks. Hübsche Karten, lobte er, als er aus dem Augenwinkel die Vielzahl von schriftlichen Glückwunschbekundungen, die den Tisch überschwemmten, wahrnahm.
Einmal sich diesen Glückwünschen zuwendend, fand er bald Gefallen an ihnen. Karten mit gedruckten Versen, wie man sie in vielen Supermärkten finden kann, lagen neben Papierbögen mit handschriftlich versehenen Zeilen, die den Gastgebern etwas Sinn- und Gehaltvolles übermitteln sollten. Manfred las eifrig und schon bald zeigte er sich gerührt über die vielen Dichtungen. Unsere Gäste mögen ganz überwiegend den Kauf herkömmlicher Geschenke bevorzugt haben, überlegte Manfred – wobei er wusste, dass auch ihm als Gast nichts Gescheites eingefallen wäre –, aber bei der passenden Formulierung ihrer Gedanken haben sich viele richtig Mühe gegeben.
Und diese schriftlichen Glückwunsche kamen, so benötigte Manfred nicht lange zu bemerken, nicht nur von den geladenen Gästen. Viele andere hatte sich auch gemeldet. Sogar der Bürgermeister von Neuenkirchburg hatte über sein Büro beste Wünsche übermitteln lassen.
Dass es mit seinem Gefühl der Unbekümmertheit bald vorbei sein sollte, dafür sorgte die Karte, die er zuletzt entdeckte. Schon der Inhalt ließ Manfred stutzen, beim Lesen des Absenders pochte augenblicklich sein Herz. Dem Einzeller „ Glückwünsche zur Hochzeit! “ folgte der Halbsatz „ Da ist ja alles gut gegangen...“ . Dann die Unterschrift: „ Klaus Wilkens“ .
Darunter befand sich ein schwarzer Strich, genauso einer, wie Klaus Wilkens ihn in den Akten der Keller-Gestapo verwendet hatte, um seine ehemaligen Mitarbeiter zu schützen.
Jetzt war es Manfred, der sich um seine Fassung bemühen musste. Er setzte sich und trank in einem Zug den Whiskey. Woher wusste Klaus
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