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Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht

Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht

Titel: Wo die Hoffnung blüht - [Roman]: Wo die Hoffnung blueht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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einer Kleideranprobe gegangen war. Einmal hatte sie sie gefragt, warum ihre Wohnung nicht genauso hübsch sei, was ihr eine Ohrfeige statt einer Erklärung eingetragen hatte.
    Hinter den Türen der Dale Street warteten keine erfreulichen Überraschungen; eine Ausnahme stellte vielleicht die Wohnung links neben der ihren dar, die den Boltons gehörte und die recht luxuriös war. Aber andererseits war John Bolton ein Schurke, und die dicken Teppiche, die goldgerahmten Spiegel und die Brokatvorhänge passten zu seinen maßgeschneiderten Anzügen, der goldenen Armbanduhr und den vielen Besuchen, die er von der Polizei erhielt.
    Die Gerüche und Geräusche, die hier aus den Häusern drangen, zeugten von Feuchtigkeit, Gebratenem, weinenden Kindern, streitenden Erwachsenen und dem Dauerkonsum der Radiosendung Workers’ Playtime. Daheim in Paris waren es frisch gebackenes Brot, Knoblauch, Mozart oder Edith Piaf gewesen, und wenn die Erwachsenen die Stimme erhoben hatten, dann nicht im Zorn, sondern zum Gruß.
    Wenn sie an Paris dachte, fühlte Yvette sich immer elend, und der heutige Tag stellte keine Ausnahme dar. Sie wandte sich vom Fenster ab und ging zu ihrer Schneiderpuppe mit dem türkisfarbenen Cocktailkleid hinüber. Sie musste noch die Ärmel einnähen und das Kleid bis Montag für die letzte Anprobe bei Mrs. Silverman in Chelsea herrichten.
    Der siebenundvierzig Jahre alte Ryszard Stanislav, den die Bewohner der Dale Street als »Stan den Polen« kannten, beobachtete von seinem möblierten Zimmer im obersten Stockwerk von Nummer zwei ebenfalls den Einzug von Fifi und Dan. Er wäre gern hinuntergegangen, um seine Hilfe anzubieten, aber er wusste aus Erfahrung, dass man ihm unverzüglich finstere Beweggründe unterstellen würde.
    Nach fünfzehn Jahren hier war sein Englisch hervorragend, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte seinen polnischen Akzent nicht abschütteln. Das Ganze wurde nicht besser dadurch, dass er als Müllmann arbeitete und allein lebte; diese Umstände weckten in den Menschen die Vorstellung, er müsse schmutzig und darüber hinaus ein Sonderling sein.
    Vor etwa zehn Jahren war er einmal aus dem Haus geeilt, um einer alten Dame zu helfen, die auf der Straße zusammengebrochen war. Nachdem ein Krankenwagen sie abgeholt hatte, war die Polizei gekommen und hatte ihn bezichtigt, ihre Geldbörse gestohlen zu haben. Er würde niemals vergessen, wie sie mit ihm gesprochen hatten, so heuchlerisch, so voller Hass, als wären sie beinahe bereit, ihn aufzuknüpfen, ohne auch nur den geringsten Beweis gegen ihn in der Hand zu haben. Zu guter Letzt hatte sich herausgestellt, dass die alte Dame ihre Börse zu Hause gelassen hatte – sie hatte sie gleich nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus gefunden. Aber der Polizeibeamte, der Stan mitgeteilt hatte, dass die Anklagen gegen ihn fallen gelassen worden seien, hatte sich nicht einmal entschuldigt. Er schien zu glauben, ein Einwanderer mit einem komischen Akzent hätte keine Gefühle.
    Stan hatte gelernt, Kränkungen und Ignoranz nicht weiter zu beachten; ferner wusste er inzwischen, dass er dumm sein musste, weil er Müllmann war, dass er niemals eine bessere Gegend als die Dale Street kennen gelernt hatte und dass es ihm gefiel, wenn man ihn »Stan den Polen« nannte. Manchmal fühlte er sich versucht, die Leute an den Schultern zu packen und dazu zu zwingen, sich seine Geschichte anzuhören, bevor sie ihn verurteilten. Aber ihm war nur allzu deutlich bewusst, dass die meisten Menschen hier keine Ahnung hatten, was in Polen während des Krieges geschehen war.
    In Wahrheit war er bis zur Invasion der Deutschen ein tüchtiger Zimmermann mit einer Frau und zwei schönen Töchtern gewesen. Während er im Krieg sein Land verteidigt hatte, waren seine Frau und die Kinder in den Straßen von Warschau erschossen und sein Haus zerstört worden. Stan wünschte sich manchmal, ebenfalls getötet worden zu sein, denn ohne seine Familie war er nichts.
    Aber die Engländer verstanden das nicht, wie hätten sie auch? Ihr Land war niemals überfallen worden. London mochte das Opfer von Bombardierungen gewesen sein, doch die Engländer hatten niemals miterlebt, wie Soldaten mitten in der Nacht in ihre Häuser gestürzt kamen oder wie unschuldige Zivilisten auf der Straße niedergeschossen wurden, nur weil sie nach der Sperrstunde noch unterwegs waren. Er war einfach nur Stan der Pole, der Mann mit dem komischen Akzent, einer von vielen Einwanderern, die England den

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