Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Liebe beginnt

Wo die Liebe beginnt

Titel: Wo die Liebe beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
Vom Netzwerk:
eine Wahl? Wir wissen beide, dass er nicht mehr zurückkann, nachdem er mir vorhin sein Wort gegeben hat. Wenigstens nicht heute Abend, hier im Dunkeln. Und nicht bevor er den Teil der Geschichte gehört hat, den ich sehr bewusst ausgelassen habe.

5 – Kirby
    Am nächsten Morgen, als ich vorsichtig durch das elegante Wohnzimmer schleiche – mit einem Auge immer zu ihrer Zimmertür schielend, damit sie mich nicht beim Rumschnüffeln erwischt –, entdecke ich ein Foto von Marian mit ihren Eltern, also meinen Großeltern. In dem Zimmer hängen viele abstrakte Gemälde, aber das Foto auf dem Tisch sticht heraus. Es ist schwarz-weiß, etwa zwanzig mal dreißig Zentimeter groß und steckt in einem edlen Rahmen, in den ihre Initialen eingraviert sind. Auf dem Bild tragen Marian und ihre Mutter Abendkleider. Das ihrer Mutter ist perlenbesetzt, Marians ist lang und blumig gemustert. Ihr Vater hat einen Smoking an. Die drei sind wohl auf einem Weingut. Unmittelbar neben ihnen steht ein Olivenbaum, und hinter ihnen breitet sich eine großartige blaue Hügellandschaft und ein Tal aus. Marian steht in der Mitte und hat die Arme um ihre Eltern gelegt, alle lachen. Wahrscheinlich hat Marians Vater gerade einen Witz gemacht, denn er sieht so zufrieden aus wie jemand, der gerade etwas Lustiges gesagt hat. Er ist groß und schlank, und in seinem länglichen Gesicht sitzt eine lange Nase. Sein Bart ist sehr gepflegt. Insgesamt erinnert er mich an einen bärtigen Atticus Finch oder einen modernen Abraham Lincoln. Er ist nicht besonders attraktiv, hat aber ein Gesicht, das man gerne betrachtet. Marians Mutter ist das Gegenteil von ihm: zierlich, elegant und schön, aber auch ein bisschen gewöhnlich. Ihr Haar hat sie sich zu einem modischen Bob gesprüht, und sie erstickt geradezu in Diamanten. Marian selbst sieht ungefähr so aus, wie ich sie kennengelernt habe, nur jünger und dünner und mit längeren Haaren. Sie ist barfuß, ihre Riemchensandalen liegen vor ihr im Gras. Schmuck trägt sie keinen bis auf einen kleinen goldenen Anhänger, der anscheinend ein M in Schreibschrift darstellt. Sie sind vielleicht bei einer Hochzeit, in irgendeinem schicken Ort wie Napa Valley (obwohl ich nicht genau weiß, wo das liegt). Gleich wird eine Riesentorte angeschnitten und Rosé-Champagner ausgeschenkt, die Band spielt Sinatra, und alle tanzen unter dem Sternenhimmel.
    Als ich das Foto in die Hand nehme und es genauer betrachte, spüre ich eine plötzliche Sehnsucht. Wonach eigentlich? Wäre ich lieber ein Teil dieser Familie? Oder wäre ich bloß gerne auf dieser Party gewesen? Ich stelle den Rahmen zurück auf den Tisch, und da kommt mir ein Gedanke: Marian hat viel Geld. Ich denke an die Bilder in meinem Elternhaus: Klassenfotos über der Treppe und unscharfe Schnappschüsse auf dem Kaminsims. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn sie mich behalten hätte? Also, wir sind nicht arm, aber trotzdem. Wer wäre nicht gern reich? Das heißt auch, dass sie ihre finanzielle Situation nicht mehr als Ausrede dafür anführen kann, dass sie mich weggegeben hat. Sie hätte es sich ohne Weiteres leisten können, mich zu behalten. Sie hätte es gekonnt. Aber sie hat nicht gewollt. Diese Erkenntnis macht mich nicht wütend, versetzt mir aber einen kleinen Stich, und ich bin ein bisschen verbittert darüber, dass sie in Saus und Braus gelebt und dabei in Kauf genommen hat, dass ich vielleicht mit Sozialhilfe aufwachsen muss. Dass sie nicht gezwungen war, mich abzugeben, fühlt sich wie eine noch schlimmere Zurückweisung an.
    Ich gehe zu einem kastenförmigen weißen Sofa und lasse mich darauf nieder. Während ich versuche, mich auf dem steinharten Polster halbwegs bequem hinzusetzen, betrachte ich die großformatigen Bildbände auf dem gläsernen Couchtisch. Ich suche nach Hinweisen, was sie mag und wer sie ist. Ich nehme ein Buch namens Oasen in Hampton in die Hand und blättere es durch. Besitzt Marian dort vielleicht ein Sommerhaus? Klar hat sie eins – ein riesiges Haus, das sie wahrscheinlich »Häuschen« nennt. Vielleicht bevorzugt sie auch Martha’s Vinyard, Cape Cod, Nantucket oder irgendein anderes Fleckchen in Neuengland. Für mich ist das sowieso alles dasselbe, ich kenne die Namen bloß, weil meine Mutter ein Faible für die Kennedys hat.
    Ein paar Sekunden später höre ich, wie die

Weitere Kostenlose Bücher