Wo die Liebe beginnt
an.
»Trotzdem, der Typ lässt sich ständig ausnutzen«, sagt Alexandre und malt ein Gewehr an die Tafel. »Ich finde, wir sollten ihn umbringen. Vielleicht fällt er einem rassistischen Mord zum Opfer. Oder er nimmt sich selbst das Leben, nachdem er jemand anderen umgebracht hat. Auf die Art könnten wir auch diesen schleimigen Anwalt loswerden.«
»Zumindest könnten wir ihn in den Bus setzen«, sagt Jeanelle. Das ist noch so ein Fernsehausdruck: Wenn man eine Figur aus der Serie schreiben, sich aber gleichzeitig die Option zur Rückkehr offen halten will, schickt man sie erst mal weg. »Vielleicht in einen Greyhound nach nirgendwo?«
Kirby und ich tauschen einen wissenden Blick. Sie hebt eine Augenbraue und nimmt mit dem Strohhalm einen Schluck Orangensaft, was ein gurgelndes Geräusch erzeugt.
Oder wir setzen ihn in einen Greyhound, weil er seine leibliche Mutter finden will, und lassen ihn dann rausfinden, dass sie seinem leiblichen Vater nie die Wahrheit über ihn gesagt hat. Ja, das wäre doch gut.
9 â Kirby
»Woher kannst du so gut singen ⦠äh, rappen? Und trommeln? Das war wirklich super«, sagt Marian, als wir später in ihrem Büro sitzen und die bestellten chinesischen Gerichte vom Lieferservice essen. Das war echt ein verrückter Tag. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es Menschen gibt, die so schwer und so lange arbeiten. Jetzt haben wir seit Langem die erste Gelegenheit, alleine miteinander zu reden.
»Danke«, erwidere ich. Dann erzähle ich ihr die Geschichte von meiner Grundschullehrerin, die erklärt hatte, die am schwersten zu lernenden Instrumente seien Schlagzeug und Waldhorn. Weil mein Vater damals gesagt hatte, es sei billiger, auf den Tisch zu trommeln als ein Horn zu kaufen, wurde es eben Schlagzeug.
Marian schiebt ihren Teller mit gebratenem Reis und Shrimps von sich. Sie hat kaum etwas angerührt, aber sie isst allgemein fast nichts. »Also, das war toll. Sehr beeindruckend«, sagt sie.
Ich danke ihr noch mal. Dann schaue ich ihr in die Augen und sage: »Also, morgen müsste ich dann wohl fahren.«
»Ach ja, richtig«, entgegnet Marian und tut, als wäre sie traurig. »Bist du sicher, dass du nicht noch bleiben kannst?«
»Na ja, ich weià nicht.« Ich wünsche mir, dass sie will, dass ich bleibe. Dass sie zumindest mit mir reden will. »Am Mittwoch ist wieder Schule, aber das ist eigentlich nicht sooo wichtig ⦠Aber vielleicht sollte ich dann doch besser zu Hause sein.«
Sie nickt. Sofort knickt sie ein und stimmt mir zu. Ich bin enttäuscht, befehle mir aber, cool zu bleiben, und zucke mit den Schultern.
Nervös fährt sie fort: »Diese Woche wird sowieso total hektisch. Morgen ist wieder Autorenkonferenz, und dann habe ich noch einen Haufen Meetings mit der Marketing- und Finanzabteilung, und ich muss Gespräche mit den neuen Kameraleuten führen. Ich will ja nicht, dass du dich langweilst. Aber erzähl mir doch noch ein bisschen was über dein Schlagzeug.«
Ich glotze sie an, dann schüttele ich den Kopf und erkläre, da gebe es nichts groà zu erzählen. Wie bescheuert ist das denn, lang und breit über mein Schlagzeug zu reden, wenn sie noch kein Sterbenswörtchen über meinen Vater gesagt hat? Ich weià nicht, ob sie etwas vor mir verbergen oder einfach nicht über ihn reden will, aber nach fast achtundvierzig Stunden mit ihr wird mir immer klarer, dass sie von sich aus nicht mit dem Thema anfangen wird.
Als wir später am Abend wieder in ihrer Wohnung sind, fängt sie an zu gähnen und verkündet, dass sie bald ins Bett gehen wird. Jetzt oder nie! Mit klopfendem Herzen höre ich mich fragen: »Also, kannst du mir bitte was über meinen Vater erzählen?«
Sie schaut mich an, erst verwirrt, dann überrascht, ganz so, als hätte sie nie mit dieser Frage gerechnet, dann atmet sie tief durch und wird so blass, dass ich mich schon auf eine längere Geschichte einstelle. Aber sie sagt bloÃ: »Er heiÃt Conrad. Conrad Knight.«
Wir stehen in der Küche, und sie setzt sich erschöpft auf einen der Barhocker. Ich setze mich ebenfalls.
»Night, wie die Nacht?«
»Knight mit K, wie der Ritter.«
Eine Sekunde lang denke ich fasziniert an die Ritter der Tafelrunde, aber dann sehe ich aus dem Augenwin kel, dass sie die Stirn kraus zieht. Da kommen die Ãngste, die ich die ganze Zeit über
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