Wo die Nacht beginnt
Zwiebeln und Rotwein, und mein Magen krampfte sich protestierend zusammen. Ich drehte mich um und erwartete Ashmole 782 zu sehen. Stattdessen hielt der Kaiser die emaillierte Kette in der Hand. Ehe ich protestieren konnte, hatte er sie über meinen Kopf gezogen und auf meine Schultern gelegt. Ich senkte den Kopf und erblickte einen grünen Uroboros, der an einer Kette von roten, dick mit Smaragden, Rubinen, Diamanten und Perlen besetzten Kreuzen hing. Das Farbschema erinnerte mich an das Schmuckstück, das Benjamin von Herrn Maisel geschenkt bekommen hatte.
»Ein seltsames Geschenk für meine Frau, Eure Majestät«, machte sich Matthew leise bemerkbar. Er stand direkt hinter dem Kaiser und fixierte angeekelt die Kette. Es war meine dritte derartige Kette, und mir war klar, dass die Symbole eine Bedeutung haben mussten. Ich hob den Uroboros an, um das Email genauer zu studieren. Genau genommen war es kein Uroboros, denn er hatte Füße. Eigentlich sah er eher nach einer Echse oder einem Salamander als nach einer Schlange aus. Aus dem aufgeschlitzten Rücken der Echse erhob sich ein blutiges rotes Kreuz. Und vor allem hielt das Wesen den Schwanz nicht im Maul, wie für einen Uroboros typisch, sondern hatte ihn um den Hals gewickelt, als wollte es sich selbst erwürgen.
»Es ist ein Zeichen meiner Ehrerbietung, Herr Roydon.« Rudolf betonte den Namen unauffällig. »Dieses Stück gehörte einst König Wenzel und wurde an meine Großmutter weitervererbt. Das Zeichen gehört zu einer Gemeinschaft tapferer ungarischer Ritter, die als Drachentöterorden bekannt ist.«
»Drachen?« Ich sah Matthew ängstlich an. Mit seinen Stummelbeinen konnte man das Tier tatsächlich für einen Drachen halten. Ansonsten zeigte es auffallende Ähnlichkeit mit dem Wappentier der de Clermonts – nur dass dieser Uroboros einen langsamen, qualvollen Tod starb. Mir fiel der Schwur ein, den Herr Fuchs – Benjamin – geleistet hatte: Drachen zu töten, wo immer er sie aufspüren konnte.
»Der Drache steht für unsere Feinde, vor allem für jene, die unsere königlichen Privilegien infrage stellen.« Rudolfs scheinbar sachliche Erklärung war in Wahrheit eine Kriegserklärung an die gesamte Sippe der de Clermonts. »Ihr würdet mir große Ehre erweisen, wenn Ihr es bei Eurem nächsten Besuch bei Hofe tragen würdet.« Rudolfs Finger tippte leicht auf den Drachen über meiner Brust und blieb dort liegen. »Dann könnt Ihr Eure kleinen französischen Salamander zu Hause lassen.«
Matthews Augen, die wie hypnotisiert auf den Drachen und den kaiserlichen Finger starrten, wurden bei Rudolfs beleidigender Bemerkung über die französischen Salamander schwarz vor Zorn. Ich versuchte wie Mary Sidney zu denken und suchte nach einer Antwort, die der Zeit angemessen war und zugleich den Vampir beruhigen würde. Dass ich mich als Frau beleidigt fühlte, würde bis später warten müssen.
»Ob ich Euer Geschenk trage oder nicht, wird mein Gemahl entscheiden, Eure Majestät«, sagte ich und zwang mich gleichzeitig, Rudolfs Finger nicht von meiner Brust zu fegen. Ich hörte erstauntes Luftschnappen und verstohlenes Geflüster. Aber mich interessierte nur, wie Matthew reagierte.
»Ich sehe keinen Grund, warum du es heute Abend nicht tragen solltest, mon cœur«, erklärte Matthew leutselig. Inzwischen war es ihm egal, ob der Botschafter der englischen Königin wie ein französischer Aristokrat klang. »Schließlich gehören Salamander und Drachen zur selben Familie. Beide ertragen sogar Feuer, um jene zu schützen, die sie lieben. Und der Kaiser ist immerhin so gütig, dir sein Buch zu zeigen.« Matthew sah sich um. »Auch wenn es so aussieht, als zeichne sich Signor Strada schon wieder durch Inkompetenz aus, denn ich kann das Buch nirgendwo entdecken.« Die nächste Brücke, die er hinter uns abgebrochen hatte.
»Noch nicht, noch nicht«, erklärte Rudolf gehässig. »Erst muss ich La Diosa etwas zeigen. Seht Euch meine Nuss von den Malediven an. Sie ist mit Schnitzereien verziert und die einzige ihrer Art.« Alle außer Matthew marschierten gehorsam in die Richtung, in die Stradas ausgestreckter Finger deutete. »Ihr auch, Herr Roydon.«
»Natürlich«, murmelte Matthew und imitierte dabei perfekt den Tonfall seiner Mutter. Langsam schlenderte er hinter der Gruppe her.
»Hier ist etwas, das ich eigens für Euch kommen ließ. Vater Johannes half mir, diesen Schatz zu erwerben.« Rudolf sah sich um, konnte Pistorius aber nirgendwo entdecken. Er
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